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Gesellschaft der Germanisten Rumäniens (GGR) - www.ggr.ro

Zeitschrift der Germanisten Rumäniens, 6. Jg., 1-2 (11-12) / 1997, S. 113-120

 



E.T.A. HOFFMANNS PRINZESSIN BRAMBILLA: EIN MNEMOTECHNISCH-HERMETISCHES CAPRICCIO

Stefan Alexe



Nachdem Hoffmann im Vorwort zur Prinzessin Brambilla von einer zu ernsthaftkritischen Betrachtung seiner Märchen abweist und somit den spielerischen, fantastischen Charakter seines “Capriccios” hervorhebt, das für denjenigen Leser gedacht ist, der

willig und bereit sein sollte, auf einige Stunden dem Ernst zu entsagen und sich dem kecken launischen Spiele eines vielleicht manchmal zu frechen Spukgeistes zu überlassen (1),

scheint er sich zu widersprechen, sofern er meint, daß doch ein tieferer Sinn herauszufinden wäre: “ein ganzes Arsenal von Un-gereimtheiten und Spukereien” sind nicht hinreichend, schreibt Hoffman an Gozzi erinnernd, “dem Märchen Seele zu schaffen, die es erst durch den tiefen Grund, durch die aus irgendeiner philosophischen Ansicht des Lebens geschöpfte Hauptidee erhält,” und bekennt, daß dies war, “was er gewollt” (2) hat.

Der “tiefe Grund”, den Hoffmann erwähnt, ist in diesem Capriccio von einer wahren Bilderflut umgeben, von Zauberhaftem, Seltsamen, Merkwürdigen, von der gewöhnlichen Beschreibung der Welt Abweichendem: um den Wesenskern einer Welt, die um die Läuterung, die Verwandlung, die Veränderung der Hauptgestalten (Giacinta Soardi und Giglio Fava) kreist, liegt ein Schleier des wandelhaften Bildes, der Maske und des Kostüms, die Verwunderung und somit einen lebhaften Eindruck zu hinterlassen versuchen.

Zur “Bändigung” dieser Bilderflut sei an eine “Kunst” angeknüpft, die schon seit dem Altertum bekannt ist, und zwar die Mnemotechnik. In jüngerer Zeit mit Erfolg zu didaktischen Zwecken verwendet, steht im Mittelpunkt der Mnemotechnik der mehr oder minder vorhandene menschliche Hang zum Bilderhaft-Metaphorischen, bzw. die Verarbeitung und Erinnerung eher nichtlinearer, diagrammatischer Strukturen. Einer genauen Definierung halber sei angeführt, daß die didaktische Seite, die die Vergrößerung des Erinnerungsvermögens bzw. die Prinzipien der Erschaffung von Gedächtnisstützen, vor allem im Unterricht erforscht, unter dem Namen “Mnemonik” von der eher spekulativen Seite der Gedächtniskunst, der “Mnemotechnik”, zu unterscheiden ist. Die philosophisch-religiöse Verwendung der mnemotechnischen Prinzipien tauchen schon zu Beginn des Mittelalters auf, und finden ihre Verwendbarkeit noch in der Renaissance; sie werden auch zur Erläuterung des hier, in der Prinzessin Brambilla sich immer metamorphisierenden Imaginären herangezogen.

Die Anfänge der Gedächtniskunst scheinen schon in sagenumwobenen Urzeiten in Ägypten zu liegen, wie Plato in Phaidros berichtet (Phaidros 249C - 275B), doch schriftliche Zeugnisse dieser Kunst sind erst in der Antike anzutreffen, vor allem weil ja die memoria als fester Bestandteil der Rhetorik galt: es geht hier um Ciceros De oratore, wo auch die Sage vom Dichter Simonides von Keos, dem Erfinder der Mnemotechnik zu finden sei, um Quintilians Institutia oratoria und zuletzt um einen Text, dessen Verfasser anonym blieb, der aber für lange Zeit irrtümlich Cicero zugeschrieben worden war, was ihn auch vor dem Untergang bewahrte und für seine weite Verbreitung im Mittelalter sorgte, u. zw. Ad C. Herennium libri IV, einen Text der in Yates’ bedeutendem und äußerst aufschlußreichem Werk Gedächtnis und Erinnern (The Art of Memory) näher behandelt wurde.

Der Grundgedanke der Mnemotechnik nach Ad Herennium liegt in der Tatsache, daß der Mensch in der Regel über ein gutes visuelles Gedächtnis verfügt. Das künstliche Gedächtnis, worüber uns berichtet wird, be-steht somit aus Orten und Bildern:

Ein locus ist ein vom Gedächtnis leicht zu erfassender Ort, wie etwa ein Haus, ein Zwischenraum zwischen Säulen, eine Ecke, ein Bogen oder etwas Ähnliches. Bilder sind Formen, Zeichen oder Abbilder (formae, notae, simulacra) dessen, was erinnert werden soll. So müssen wir zum Beispiel, wenn wir uns Pferde, Löwen, Adler ins Gedächtnis zurückrufen wollen, ihre Bilder an ganz bestimmten loci anbringen (3).

Um sich somit an einen Text oder eine Rede zu erinnern, muß man einfach die zu erinnernden Ideen an bestimmte Orte befestigen, Orte die ein Teil eines imaginierten Gebäudes sind, und sodann durch das Gebäude wandeln und die Ideen, diese Bilder wieder “aufheben”, erneuern.

Wie aber sollen Orte und Bilder gewählt werden? Der unbekannte Rhetoriklehrer antwortet wie folgt:

Die Natur selber lehrt uns, wie wir verfahren sollen. Sehen wir im Alltagsleben unbedeutende, gewöhnliche und banale Dinge, dann können wir uns in der Regel nicht an sie erinnern, denn unser Verstand wird nicht durch jedes beliebige Neue oder Wunderbare angeregt. Wenn wir aber etwas besonders Gemeines, Niederträchtiges, Ungewöhnliches, Großes, Unglaubwürdiges oder Lächerliches sehen oder hören, werden wir dessen wahrscheinlich lange gedenken. (...) So zeigt die Natur, daß sie durch das gewöhnliche, normale Ereignis nicht aufgerüttelt wird, sondern durch eine neue oder auffällige Begebenheit erregt wird. So soll die Kunst die Natur nachahmen, finden, was jene verlangt, und dorthin folgen, wohin jene führt. (...) (4)

Das Besondere jedwelcher Art, insofern es den Betrachter dieser mnemotechnischen Bilder dermaßen ins Auge springt, daß es in ihm lebhaft gegenwärtig ist, wird angestrebt. In Ad Herennium wird dies folgendermaßen erklärt:

Wir sollen also solche Bilder aufstellen, die möglichst lange im Gedächtnis haften. Dies wird geschehen, wenn wir möglichst auffällige Gleichnisse wählen; wenn wir Bilder herstellen, die nicht nichtssagend und undeutlich, sondern aktiv sind (imagines agentes); wenn wir ihnen außerordentliche Schönheit oder einzigartige Häßlichkeit beilegen; wenn wir manche von ihnen besonders ausschmücken etwa mit Kronen oder Purpurmänteln, so daß das Gleichnis für uns auffälliger ist; oder wenn wir sie irgendwie entstellen, etwa indem wir ein blutbeflecktes oder mit Lehm beschmiertes oder mit roter Farbe bestrichenes Gleichnis einführen, damit die Gestalt mehr hervorgehoben wird, oder indem wir unseren Bildern komische Wirkungen beilegen, weil auch das gewährleisten wird, daß sie unserer Erinnerung besser zur Verfügung stehen. Denn an Dinge, an die wir uns, wenn sie wirklich sind, leicht erinnern, erinnern wir uns auch mühelos, wenn sie Produkte der Phantasie sind. Doch eines wird dabei wesentlich sein, nämlich in Gedanken die ursprünglichen Orte immer wieder durchzugehen, um die Bilder aufzufrischen (5).

Das Schöne und das Seltsame sowie das Komische befinden sich also im Dienste dieser verlorengegangenen Kunst, indem sie nicht Zweck sondern Mittel zum Zweck sind, und zwar zum Wiedererinnern an eine Rede helfen, aber auch zur Wiedererschaffung eines Textes, eines Werkes verwendbar sind; hier soll jedoch nicht an die mnemonische Methode für das genaue Auswendiglernen längerer Texte dem Wortlaut nach, und nicht nur dem Sinn nach erinnert, sondern hervorgehoben werden, daß die mnemotechnische Praxis eine Art von epistemologischem Instrument liefert, wie es auch die mnemotechnischen Modelle der Renaissance, wie z. B. Giulio Camillos zeigen werden. Zusammenfassend kann durch ein solches System der Gedanke zu Bildern zerfließen und durch das Wandeln in den Räumen des Geistes wie durch ein mnemotechnisches coagula wieder entstehen. Wort zergeht zu Bild, und fügt sich zu einem Gedanken, einem Ausdruck zusammen, was Hoffmann in dem hier behandelten Capriccio wie folgt ausdrückt:

Der Gedanke zerstörte die Anschauung, aber dem Prisma des Kristalls, zu dem die feurige Flut im Vermählungskampf mit dem feindlichen Gift gerann, entstrahlt die Anschauung neugeboren, selbst Fötus des Gedankens! (6)

Das Wiedererinnern als Quelle der Erkenntnis wurde auch mit dem mnemotechnischen Instrumentarium in Verbindung gebracht: eigentlich nicht zu unrecht: man ist das, woran man sich erinnert. Und um sich zu erinnern, mußte man nur architekturale Luftschlösser bauen, die loci, - die natürlich nicht nur als Gebäude dargestellt werden konnten, sondern auch als Städte, Kammern, als Zodiakus, als Diagramme verschiedenen Inhalts, in der scholastischen Tradition als Türmer, Bäume und Räder - und darin die Bilder befestigen, die den zu erinnernden Inhalt darstellen. Was würde aber geschehen, wenn man anstelle von diesen mit der Zeit verbleichenden Bildern die unveränderlichen, ewigen Ideen stellen würde? Die Antwort auf diese Frage führt zu einer der “aufregendsten Manifestationen der Anwendung dieser Kunst in der Renaissance” und zwar dem Gedächtnistheater Giulio Camillos, das, in der neoplatonischen Tradition stehend, der “ewigen Natur aller Dinge (...) ewige Orte zuweisen” (7) sollte.

Dies geschah im Gegensatz zu der antiken Verwendung der Mnemotechnik, die hauptsächlich dazu dienen sollte, verschiedene Ideen nur für relativ kurze Zeit im Geiste zu behalten. Indem jedoch Camillos Methode unter dem Zeichen der Ewigkeit stehen sollte, mußte die gesamte Schöpfung, oder besser gesagt, das gesamte geistige Universum des Menschen durch eine endliche Zahl von Symbolen umschrieben, ja sogar von ihnen eingeschrieben werden, so daß durch das Wadeln durch dieses Theater ein künstlicher Wiederaufbau des Geistes stattfinden konnte. Daß Camillo damit im 16. Jahrhundert Aufsehen erregt hat, berichtet einer seiner Zeitgenossen, Wigle van Aytta (Viglius Zuichemus) im Jahre 1532:

Man sagt, dieser Mann habe ein gewisses Amphiteater errichtet, ein Werk mit der wunderbaren Fähigkeit, daß jeder, der als Zuschauer eingelassen wird, über jedes Thema nicht weniger gewandt disputieren kann als Cicero. Ich hielt dies zunächst für eine Mär (...) Camillo gibt vor, daß alles, was der menschliche Geist erfassen kann und was wir mit dem körperlichen Auge nicht sehen können, nachdem es durch sorgfältige Meditation gesammelt sei, durch gewisse körperhafte Zeichen in einer solchen Weise zum Ausdruck gebracht werden könne, daß der Betrachter mit seinen Augen sogleich alles begreifen kann, was sonst in den Tiefen des menschlichen Geistes verborgen ist. Und wegen dieser körperlichen Anschauung nennt er es ein Theater (8).

Dieses Theater hat somit für Camillo nicht nur eine Erkenntnisfunktion, sondern sogar eine initiatorische, es wird zu einer Art geistigem Athanor, zu einem Spiegel desjenigen, der mit inneren aktiven Bildern in ihm operiert.
Diese Eigenschaft der verwandelnden Bilder kann man auch in Hoffmanns Prinzessin Brambilla antreffen, in der die Gestalten in drei verschiedenen Ebenen agieren, und zwar eine erste Ausgangsebene, die im Verlaufe des Diskurses immer wieder angestrebt wird, (die Ebene der am Ende geläuterten Giulio und Giacinta), eine zweite, phantastische Ebene der Prinzessin Brambilla und des Prinzen Cornelio Chiaperi, fast archetypische Wunschbildgestalten der ersten zwei, und eine Märchenebene mit einer hermetisch-alchemischen Szenerie, die in dem Textganzen aufs innigste verwoben ist: Das Märchen von Ophioch und Liris, aus dem auch die weiter oben zitierte Prophezeiung von dem (linearen, sprachbezogenen) Gedanken und der (mnemotechnischen) Anschauung.

In der Tat, in Hoffmanns Prinzessin Brambilla werden die verschiedenen Spiegelungen, die die Hauptgestalten erleben, zu einem Prisma, das jeden konkreten Gedanken in der Regenbogenhaftigkeit der Anschauung auflöst, um in einer fieberhaften Dynamik den Werdegang und die Wandlungen dieser Gestalten wiederzugeben. Metamorphose und Katharsis sind ineinander verwoben, die schnell ablaufenden Geschehnisse, die so wie nebenbei erzählten Begebenheiten, die verschwommenen, phantastischen Bilder sind, um die weiter oben zitierten Worte des Rhetoriklehrers aus Ad Herennium zu verwenden, durch ihre “außerordentliche Schönheit oder einzigartige Häßlichkeit, durch die komischen Merkmale”, also durch die Erinnerung an sich selbst, an das Ich, wie es Giglio nennt, an das ewige Sein gebunden, an den “tiefen Grund, an durch die aus irgeneiner philosophischen Ansicht des Lebens geschöpfte Hauptidee” (9).

Giglio, ein etwas eitler Schauspieler, liebt die Putzmacherin Giacinta Soardi, die seine Liebe erwidert. Als jedoch die sehr geheimnisvolle äthiopische Prinzessin Brambilla in den Palast des Fürsten Pistoja nach Rom zieht, um, wie es sich im Verlauf der Geschichte herausstellt, den assyrischen Prinzen Cornelio Chiapperi zu heiraten, beginnt die Bewährungsprobe dieser Liebe zwischen Giglio und Giacinta, die eher als oberflächlich bezeichnet werden kann: Giglio träumt seinem Traumbild, der Prinzessin Brambilla nach und vernachlässigt sogar seine tragischen Rollen, Giacinta verliebt sich in den unbekannten Prinzen. Dies wird Anlaß zu den verschiedensten Verwechslungen, zu Rollentausch und heiteren Dialogen.

Zur weiteren Verwicklung des Geschehens, aber auch zur Erlösung am Ende ist der Marktschreier und Scharlatan Celionati schuld, der, wie es sich herausstellen wird, eigentlich der Fürst Pistoja ist, zu dem die Prinzessin zieht. Sie verfolgt ihren Prinzen, der sich von Celionati einen Zahn ziehen lassen will; ihre Ankunft ist Anlaß zur Beschreibung einer der seltsamsten, und somit einprägsamen, Paraden:

Das Volk hatte recht; denn der Zug, der sich durch die Porta del popolo langsam den Korso hinaufbewegt, konnte füglich für nichts anderes gehalten werden, als für die seltsamste Maskerade, die man jemals gesehen. Auf zwölf kleinen schneeweißen Einhörnern mit goldnen Hufen saßen in rote atlasne Talare eingehüllte Wesen, die gar artig auf silbernen Pfeifen bliesen und Zimbeln und kleine Trommeln schlugen. Beinahe nach der Art der büßenden Brüder waren in den Talaren nur die Augen ausgeschnitten und ringsum mit goldnen Tressen besetzt, welches ich wunderlich genug ausnahm.

Als der Wind dem einen der kleinen Reiter den Talar etwas aufhob, starrte ein Vogelfuß hervor, dessen Krallen mit Brillantringen besteckt waren. Hinter diesen zwölf anmutigen Musikanten zogen zwei mächtige Strauße eine große auf einem Rädergestell befestigte goldgleißende Tulpe, in der ein kleiner alter Mann saß mit langem weißen Bart, in einen Talar von Silberstoff gekleidet, einen silbernen Trichter als Mütze auf das ehrwürdige Haupt gestülpt.

Der Alte las, eine ungeheure Brille auf der Nase, sehr aufmerksam in einem großen Buche, das er vor sich aufgeschlagen. Ihm folgten zwölf reichgekleidete Mohren, mit langen Spießen und kurzen Säbeln bewaffnet, die jedesmal, wenn der kleine Alte ein Blatt im Buche umschlug und dabei ein sehr kleines scharf durchdringendes “Kurri - pire - ksi- li- i- i- i“ vernehmen ließ, mit gewaltig dröhnenden Stimmen sangen: “Bram- bure- bil- bal- Ala monsa Kikiburra- son- ton!”. Hinter den Mohren ritten auf zwölf Zeltern, deren Farbe reines Silber schien, zwölf Gestalten, beinahe so verhüllt wie die Musikanten, nur daß die Talare auf Silbergrund reich mit Perlen und Diamanten geschickt und die Ärme bis an die Schulter entblößt waren. Die wunderbare Fülle und Schönheit dieser mit den herrlichsten Armspangen geschmückten Ärme hatten schon verraten, daß unter den Talaren die schönsten Damen versteckt sein mußten; überdem machte aber auch jede reitend emsig Filet, wozu zwischen den Ohren der Zelter große Samtkissen befestigt waren. (10)

Der Alte mit den großen Brillen kommt in allen drei Ebenen als Magiergestalt vor: er ist Celionatis Freund Ruffiamonte und zu gleicher Zeit der Magier Hermod, der jene Prophezeiung aussprach. Verschiedene Einzelheiten dieser Beschreibung werden im weiteren Verlaufe des Capriccios von Bedeutung sein, so z. B. die Filet stickenden Prinzessinen.

Auch die Brille, das mit der Idee des Bildes am nahestehendsten Instrument, nimmt eine Erkenntnisfunktion ein und ist ein Attribut des Suchenden, wie es auch, um nur ein Beispiel zu nennen, aus dem XLII. Epigramm aus Michael Maiers Atalanta fugiens ersichtlich ist, einer alchemistischen Schrift die neben den versförmigen Ratschlägen auch Zeichnungen mit hermetisch-alchemistischem Inhalt abbilden, um den Text somit besser zu veranschaulichen: das Epigramm stellt dem Betrachter einen Weisheitssuchenden vor, der, mit Brille, Stock und Lampe “bewaffnet”, der Frau Natura in ihren Fußstapfen folgt. In der einzigen uns zugänglichen, englischen Übertragung lautet der Text wie folgt:

May Nature, Reason, Exercise and Literature be the guide, staff, spectacles and lamp for him who participates in chemistry.

Nature be your guide; follow her with your artwil lingly, closely,
You err, if she is not your companion on your way.
Reason be your staff, Exercise may strengthen your sight,
On account of which the things that are far away can be discerned,
Literature be your lamp, shining in the darkness,
In order to guard you against an accumulation of things and words.

Celionati, der Ciarlatano, erzählt auf dem Marktplatze, daß der Prinz Chiapperi, nur mit Hilfe jener großen Brille gesehen werden kann, die er zum Verkaufe anbot. Er wird auch Giglio eine anbieten, der damit nach seiner Prinzessin suchen soll, was er ohne Brille nicht vollbringen könnte: “Denn seht, Ihr habt Euren Prinzen ganz und gar vergessen, und, steht vielleicht ein Bildnis noch in Eurem Innern, so ist es farblos, stumm und starr geworden, und Ihr vermöget nicht, es ins Leben zu rufen.” Dieses starr gewordene Bildnis soll Giglio nun in aktive Bilder umwandeln, was er jedoch nicht erreichen kann, als er zum mnemotechnischen Ort, den Palast hinblickt:

Aber nichts, als ein buntes undeutliches Gewirre von allerlei seltsamen Gestalten stellte sich dar und nur zuweilen zuckte ein elektrischer Strahl durch sein Innres, das holde Traumbild verkündend, das sich vergebens dem tollen Chaos entringen zu wollen schien. (H. 225f.)

Giglio will es am nächsten Tag am Korso das geliebte Traumbild wiedersehen wollen, und Celionati gibt ihm den Ratschlag, auf keinem Fall eine schöne Maske zu tragen: "Je abenteuerlicher, je abscheulicher, desto besser"! was er auch befolgen wird und sich

eine seltsame mit zwei hohen Hahnfedern geschmückte Kappe dazu eine Larve mit einer roten, in hakenförmigem Bau und unbilliger Länge und Spitze alle Exzesse der ausgelassensten Nasen überbietend, ein Wams mit dicken Knöpfen, (..) ein breites hölzernes Schwert (...)

und letztendlich auch

ein hübsches himmelblau seidnes Beinkleid mit dunkelroten Schleifen, dazu aber rosenfarbne Strümpfe und weiße Schuhe mit luftigen dunkelroten Bändern anschaffen wird: Nachahmen will ich jenen Schauspieler, denkt Giglio, der, als er in gräßlicher Verkappung im gozzischen Stück das blaue Ungeheuer spielte, die zierlich gebaute Hand, die ihm die Natur verliehen, unter der bunten Tigerkatzenpfote hervorzustrecken wußte und dadurch die Herzen der Damen schon vor seiner Verwandlung gewann. (alles: H. 227)

In den folgenden Kapiteln erfährt der Leser näheres über Giglios verzweifelte Suche nach der Prinzessin; Hoffmann leitet jedes Kapitel mit einer kurzen, aber bildhaften Inhaltsübersicht ein, die im Leser große Aufmerksamkeit zu wecken vermag. Dem primo amoroso, Giglio wird das ganze Versteckspiel zuviel. Er versucht wieder zum normalen Leben als Schauspieler zurückzugelangen. Als weißer Mohr will er in einem Trauerspiel des Abbate Chiari auftreten, um somit der verzwickten Lage, in der er sich seit der Ankunft der Prinzessin Brambilla befand, zu entkommen: “und aus dem tollen Wirrwarr erstehe ich neugeboren, als moro bianco” (H. 269), doch letztendlich wird er seine neue Rolle doch nicht antreten.

Das zweite Kapitel, das in seiner kurzen Inhaltsübersicht wieder einmal bildliche Kuriositäten bringt wie z. B. Der Prinz in der Konfektschachtel oder Wie Giglio der Ritter der Prinzessin Brambilla sein wollte, weil ihm eine Fahne aus dem Rücken gewachsen beginnt mit einer Erklärung des Autors an seinen Leser, der sich wohl sehr über dieses “tolles fratzenhaftes Zeug” (H. 228) gewundert hat: er hat, um den Leser aus “dem engen Kreise gewöhnlicher Alltäglichkeit zu verlocken” und ihn “in fremdem Gebiet, das am Ende doch eingeengt ist in das Reich, welches der menschliche Geist im wahren Leben und Sein nach freier Willkür beherrscht, auf ganz eigne Weise zu vergnügen,” die seltsamen Ideen aus einem Zustand der Vergänglichkeit in konkrete Form fixierend, in Gestalten und Orte verwandelt:

Nun kann ich es dir sagen, günstiger Leser! daß es mir (vielleicht weißt du es auch aus eigner Erfahrung) schon hin und wieder gelang, märchenhafte Abenteuer gerade in dem Moment, als sie, Luftbilder des aufgeregten Geistes, in nichts verschwimmen wollten, zu erfassen und zu gestalten, daß jedes Auge, mit Sehkraft begabt für dergleichen, sie wirklich im Leben schaute und eben deshalb daran glaubte. (H 229)

Dieser aufgeregte Geist, der sich, die Ruhe überwindend, im merkurialischen, faustischen Zustand der Tat befindet, gleicht dem Chaos von dem Christophorus von Paris spricht, der von Jung in Psychologie und Alchemie zitiert wird:

Das Chaos (als materia prima) sei das Werk der allerweisesten Natur. Unser Verstand (intellectus) müsse dieses natürliche Kunstwerk, eben das Chaos, vermittles des ‘himmlischen und glühenden Geistes’ (spiritu) in die himmlische Natur der Quintessenz und der belebenden (vegetabilis) Essenz des Himmels überführen. In diesem Chaos existiere in potentia die genannte kostbare Substanz in der Gestalt einer ‘massa confusa’ der vereinigten Elemente, und deshalb müsse sich die menschliche Vernunft damit fleißig beschäftigen, (incumbere debet), damit sie unseren Himmel in die Wirklichkeit (ad actum) überführe. (Jung, P&A, 389 f.)

Dieses Fixieren geistiger Bilder, als das Zuordnen eines Bildes an einen bestimmten Ort, soll hier dargestellt werden. Es sei hier an Celionati erinnert, der dem von der Prinzessin träumenden Giglio von dem Prinzen erzählt, dessen Bildnis (...) in eurem Innern, (...) farblos, stumm und starr geworden ist. Diese “Ur”bilder, die in Giglio verankert sind - der “Prinz” als solches Urbild kommt ja in jedem Märchen vor -, stehen in seiner geistigen “Umgebung” verwahrlost und stumm da, und werden von ihm nicht beachtet und somit nicht zu imagines agentes. Doch auch diese Bilder werden belebt in dem Maße, in dem der Autor selbst, durch seine Wanderung im Gebäude des Geistes, sie zu beleben versteht: seine Bilder sind die Bilder Callots, sind seine kecken Federstriche. Die Wichtigkeit des Bildhaften wird somit nochmals unterstrichen, den für den Leser, der “ohne Rücksicht auf die artigen Kupferblätter” ist, ja nur “tolles fratzenhaftes Zeug” sein mag: für denjenigen, der sich nicht in das Labyrinth des Denkens wagt, ist alles sinnlos, er vermag die geheime Gestalt des Textes nicht zu durchschauen, obwohl alles in seiner Hand liegt, denn der Autor schreibt,

daß wir im Leben oft plötzlich vor dem geöffneten Tor eines wunderbaren Zauberreichs stehen, daß uns Blicke vergönnt sind in den innersten Haushalt des mächtigen Geistes, dessen Atem uns in den seltsamsten Ahnungen geheimnisvoll umweht; du könntest aber, geliebter Leser, vielleicht mit vollem Recht behaupten, du hättest niemals aus jenem Tor ein solches tolles Capriccio ziehen sehen, als ich es geschaut zu haben vermeine. (H 230)

Hoffmann beschreibt hier eine

unio mystica: aber es war, als habe das holde magische Zauberbild, das sonst nur in fernen Ahnungen zu dir sprach, in geheimnisvoller Vermählung in deinem Geist sich deines ganzen Innern bemächtigt, und in scheuer Liebeslust trachtetest und wagtest du nicht, die süße Braut zu umfangen, die im glänzenden Schmuck eingezogen in die trübe, düstre Werkstatt der Gedanken. (H 230)

Dies ist auch der Zustand der Suche und der Erwartung, in der sich nun Giglio befindet: im Zentrum seiner gesamten Phantasie ist jene Animagestalt, die Prinzessin Brambilla, die alles andere um ihn verschwinden läßt. Doch er wird erst im Augenblick der Entsagung zu ihr in der Gestalt Giacintas gelangen, was am Ende des Textes auch der Fall sein wird. Bis zu dem Punkt jedoch wird er und somit auch der Leser durch die exotischsten und abenteuerlichsten Gedankenräume geführt.

“Die Hölle der Schauspieler kann keine entsetzlichern Qualen haben, als recht ins Herz hineingeführte Angriffe auf ihre Eitelkeit” (236 f.), und diese Qualen muß auch Giglio durchleben, als ihm sein wahres Gesicht offenbart wird, der erste Schritt auf dem Weg, der ihn zur Selbstentsagung, zur Liebe führt. Giglio erfährt die Meinung anderer durch ein zufälliges mitgelauschtes Gespräch, in dem er mit einem Hahn verglichen wurde, was ihm überhaupt nicht gefallen wollte:

So konnte Giglio das fatale Bild von dem jungen, närrisch bunten Haushahn, der sich wohlgefällig in der Sonne spreizt, nicht loswerden und ärgerte und grämte sich darüber ganz gewaltig eben deshalb, weil er im Innern, ohne es zu wollen, vielleicht anerkennen mußte, daß die Karikatur wirklich dem Urbilde entnommen. (H. 237)

Gereizt wollte er anfangs auch nicht auf die Pantomime achten, zu deren Zuschauer er gehörte; diese “stellte nichts anderes dar, als die in hundert und abermal hundert Variationen wiederholten Liebesabenteuer des vortrefflichen Arlecchino, mit der süßen neckisch holden Colombina.” Wieder werden ihm Urbilder vor die Augen gebracht; ja sogar der Festzug, mit dem das gesamte Schauspiel endete war nichts anderes als der schon am Anfang die Prinzessin Brambilla begleitende Zug:

die Einhörner, die Mohren, die Filet machenden Damen auf Maultieren u. s. Auch fehlte nicht der ehrwürdige Gelehrte und Staatsmann in der goldgleißenden Tulpe der vorüberfahrend aufsah und Giglio freundlich zuzunicken schien. Nur statt der verschlossenen Spiegelkutsche der Prinzessin, fuhr Colombina daher auf dem offenen Triumphwagen.

In der Welt der Pantomime, des stummen Theaters, in dem also der Schwerpunkt nicht auf dem Wort, sondern auf dem Gestus, dem Bild liegt, ist Colombina das, was die Prinzessin Brambilla in der Welt von Giglios Träumen ist, und was Giacinta in seiner realen Welt ist.

Giglios Animagestalt erfährt trotzdem noch eine Korrespondenz in der Welt der Märchen und des Mythos, und zwar in der Gestalt von Liris, der Gemahlin des Königs Ophioch, zweier Gestalten aus der Geschichte von dem Könige Ophioch und der Königin Liris, einem seltsamen und geheimnisvollen Teil von Hoffmanns Capriccio, einem Märchen, das viele schon zu Beginn des Textes geöffnete Leerstellen zu erläutern vermag.

König Ophioch erkrankt an einer geheimnisvollen Melancholie, die sich auch auf alle ansteckend auswirkt, die seine Krankheit verstehen. Mehr noch, wir erfahren vom Autor, daß diese Krankheit eigentlich dämonischer Art sei:

Aber dann ging alles unter in wirren wüsten Trümmern, mit eisigen Fittigen wehte ihn der finstre furchtbare Dämon an, der ihn mit der Mutter entzweit und er sah sich von ihr im Zorn hülflos verlassen. Die Stimme des Waldes, der fernen Berge, die sonst die Sehnsucht weckten und süßes Ahnen vergangener Lust, verklangen im Hohn jenes finstern Dämons. Aber der brennende Gluthauch dieses Hohns entzündete in König Ophiochs Innerm den Wahn, daß des Dämons Stimme die Stimme der zürnenden Mutter sei, die nun feindlich das eigne entartete Kind zu vernichten trachte. (H 251)

Diese Entzweiung ist eigentlich Hauptursache des inneren Konflikts auf allen Ebenen der Erzählung: auch Giglio Favas Leiden wird von Celionati als chronischer Dualismus bezeichnet, eine innere Spaltung, die wohl nur durch die die coagula-Funktion erfüllende Vereinigung der Gegensätze geheilt werden kann, durch eine Wiedervereinigung mit dem mütterlichen, weiblichen Unbewußten, ein Prozeß der jedoch im Innern der Seele stattfinden muß, um erfolgreich zu sein, und nicht nur durch äußere Imitation:

In diesem gesunden Zustande glaubte der Staatsrat einzusehen, daß den König Ophioch nichts anderes von seinem Tiefsinn retten könne, als wenn ihm ein hübsches durchaus munteres, vergnügtes Gemahl zuteil würde. Man warf die Augen auf die Prinzessin Liris, die Tochter eines benachbarten Königs (H 251).

So gesellt sich zur Melancolie die Albernheit, (wie im Falle Giglios und Giacintas Eitelkeit und Smorfia, ein Zustand stolzer Unansprechbarkeit, der Giacinta manchmal verfällt, für beide Gestalten charakteristisch sind), da Prinzessin Liris immerzu lachte; außerdem war ihre einzige Lust, die sich wirklich als Lust gestaltete, Filet zu machen, worin sie eifrig von ihren Hofdamen unterstützt wurde.

Die erhoffte Veränderung aber trat nicht ein, mehr noch, der Zustand des Königs verschlechterte sich zunehmend, bis jedoch eines Tages das entscheidende Ereignis stattfindet:

Es begab sich, daß König Ophioch eines Tages auf der Jagd in den rauhen verwilderten Teil des Waldes geriet, wo ein Turm von schwarzem Gestein, uralt wie die Schöpfung, als sei er emporgewachsen aus dem Felsen, hoch emporragte in die Luft. (...) Als König Ophioch nun so ganz in sich verloren dastand, brauste ein Adler auf und schwebte über der Zinne des Turms. Unwillkürlich ergriff König Ophioch sein Geschoß und drückte den Pfeil ab nach dem Adler; statt aber diesen zu treffen blieb der Pfeil stecken in der Brust eines alten ehrwürdigen Mannes, den nun erst König Ophioch auf der Zinne des Turms gewahrte. Entsetzen faßte den König Ophioch, als er sich besann, daß der Turm die Sternwarte sei, welche, wie die Sage ging, sonst die alten Könige des Landes in geheimnisvollen Nächten bestiegen und, geweihte Mittler zwischen dem Volk und der Herrscherin alles Seins, den Willen, die Sprüche der Mächtigen dem Volk verkündet hatten. Er wurde inne, daß er sich an dem Orte befand, den jeder sorglich mied, weil es hieß, der alte Magus Hermod stehe, in tausendjährigem Schlaf versunken, auf der Zinne des Turms und, würde er geweckt aus dem Schlafe, so gäre der Zorn der Elemente auf, sie träten kämpfend gege-neinander und alles müsse untergehen in diesem Kampf. (H 252f.)

Die hervorgehobenen Ausdrücke sind äußerst oft in alchemistischen Texten antretende Symbole, mehr noch, dieser Textabschnitt scheint fast einem alchemistischen Diskurs entsprungen zu sein; eine ausfürliche Besprechung der hier auftretenden Symbole würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen; da dieser kurze Text jedoch als ein Ursprung der seelischen Wandlungen und der Verwandlungen angesehen werden kann, muß darauf hingewiesen werden, daß der Ausgangspunkt der angestrebten Veränderung im Wald stattfindet, einem Zustand des Chaos, des Unbewußt-Geheimnisvollen, Dunklen, den wohl König Ophioch am besten charakterisiert. Auf dem Turm - einem Athanor in alchemistischer Symbolik - befindet sich ein Adler (der Geist), der von König Ophioch angeschossen wird, um fixiert zu werden; getroffen wird im Herzen aber Hermod-Hermes, das merkurialische Prinzip, das sich alleszerstörend, aber auch alleserneuernd auswirkt, indem es aus dem chaotischen Zustand der vier Elemente, in denjenigen der Drei hinüberführt (Mercurius im mineralischen, vegetalischen und animalischen Bereich - verbildlicht ausgedrückt, im Bereiche der archetypischen Natur in Ophiochs Märchen, in der wortlosen, aber hinweisenden Welt der Pantomime, des Theaters, und in der träumerischen Welt eines Giglios-Chiapperi und seiner Anima Giacinta-Brambilla). Der Kampf der vier feindlichen Elemete Wasser, Erde, Feuer und Luft zerstört das gesamte Sein, um aber sodann zur Versöhnung zu führen. Der befürchtete Kampf tritt jedoch scheinbar nicht ein. Im Gegenteil, Hermod dankt König Ophioch für seine Hilfe, ihn aus einen “langen Seherschlaf geweckt zu haben” (H 253). Hermod wird die schon am Anfang der Arbeit angeführte Prophezeiung aussprechen:

Der Gedanke zerstörte die Anschauung, aber dem Prisma des Kristalls, zu dem die feurige Flut im Vermählungskampf mit dem feindlichen Gift gerann, entstrahlt die Anschauung neugeboren, selbst Fötus des Gedankens! (H 255)

Diese seltsamen Worte wußte niemand zu deuten, und König Ophioch läßt sie in goldenen Lettern in einer schwarzen Marmortafel meißeln lassen. Sowohl er, als auch seine Frau Liris, die seit dem Augenblick, in dem sie die Inschrift betrachtet hat, nicht mehr imstande ist zu lachen, sind in einen todähnlichen Schlaf versunken, aus dem sie nach der von Hermod vorausgesagten Zeit wieder erwachen: “In demselben Augenblick, als das geheimnisvolle Prisma des Magus Hermod zur Quelle zerfloß, war das Königspaar aus seinem langen Zauberschlafe erwacht.” Somit endet das Märchen, an das jedoch noch später angeknüpft wird. Ein alchemischer Prozeß kennt nämlich immer den chaotischen Anfangszustand, sodann den Zustand der Nigredo (hier der todähnliche Schlaf), die Vermählung von Rex und Regina aber auch die Geburt des königlichen Kindes, die in unserem Falle noch nicht stattgefunden hat. Das königliche Kind soll als Prinzessin Mystilis geboren werden, aus einer Lotusblume des im Königreich von Ophioch sich befindender Urdarquelle: die alchemistischen Andeutungen sind nicht zu übersehen. Dies wird jedoch im Augenblick stattfinden, in dem die Handlungsstränge, sowohl die des Märchens als auch die der Liebesgeschichte Giglios-Giacintas bzw. Chiaperi-Brambilla zusammentreffen werden.

Auf der Suche nach der Prinzessin Brambilla gelangt nämlich Giglio in den Palast des Fürsten Bastianelli di Pistoja, den Palast, den er am Anfang des Capriccios mit Hilfe von Celionatis Brillen durchforstet hatte. Dort betrat er einen Saal betreten, in dem sich der Magier aus der Prozession befand. Wieder scheint es, das der Leser die Beschreibung eines alchemistischen Bildes liest:

Giglio befand sich in einem mächtigen Saal, dessen Wände mit purprugesprenkeltem Marmor bekleidet waren und aus dessen hoher Kuppel sich eine Ampel hinabsenkte, deren strahlendes Feuer alles mit glühendem Gold übergoß. Im Hintergrunde bildete eine reiche Draperie von Goldstoff einen Thronhimmel, unter dem auf einer Erhöhung von fünf Stufen ein vergoldeter Armsessel mit bunten Teppichen stand. Auf demselben saß jener kleine alte Mann mit langem weißen Bart, in einen Talar von Silberstoff gekleidet, der bei dem Einzuge der Prinzesin Brambilla in der goldgleißenden Tulpe den Wissenschaften oblag. So wie damals, trug er einen silbernen Trichter auf dem ehrwürdigen Haupte; so wie damals, saß eine ungeheure Brille auf seiner Nase; so wie damals, las er, wiewohl jetzt mit lauter Stimme, die eben diejenige war, welche Giglio aus der Ferne vernommen, in einem großen Buche, das augeschlagen vor ihm auf dem Rücken eines knieenden Mohren lag. (...) Ringsumher im geschlossenen Halbkreis saßen wohl an hundert Damen so wunderbar schön, wie Feen und ebenso reich und herrlich gekleidet, wie diese bekanntlich einhergehen. Alle machten sehr emsig Filet. In der Mitte des Halbkreises, vor dem Alten, standen auf einem kleinen Altar von Porphyr, in der Stellung in tiefen Schlaf Versunkener, zwei kleine seltsame Püppchen mit Königskronen auf dem Haupte. (H 281f.)

Diese Püppchen sollen an Ophioch und Liris erinnern, der Magier an Hermod, der eigentlich in Giglios und Celionatis Handlungsebene Ruffiamonte heißt und das glückliche Ende des alchemistischen Märchens verkündet, und zwar die Geburt der Prinzessin Mystilis. Doch auch das Capriccio nähert sich einem solchen Ende, doch vorerst muß der an chronischem Dualismus (H 311) leidende Giglio geheilt werden. In allgemeinem Frohsinn endet das Capriccio, die drei Handlungsebenen finden zueinander und der Magus liest die Verse, die auch die freudige Geburt Mystilis auslösen und zu einem glücklichen Ende in Hoffmanns Prinzessin Brambilla führen wird:

Es gaukeln froh der Fantasei Gestalten
Auf bunter Bühne klein zum Ei geründet;
Das ist die Welt, anmutgen Spukes Walten.
Der Genius mag aus dem Ich gebären
Das Nicht-Ich, mag die eigne Brust zerspalten,
Den Schmerz des Seins in frohe Lust
Das Land, die Stadt, die Welt, das Ich - gefunden
Ist alles nun. In reiner Himmelsklarheit
Erkennt das Paar sich selbst, nur treu verbunden
Aufstrahlet ihm des Lebens tiefe Wahrheit.
                                        (H 320)

Der chronische Dualismus ist der Ursprung der Wandlungsnotwendigkeit nicht nur Giglios, sondern auch aller Gestalten die ihre Korrespondenz in den verschiedenen Ebenen finden. Giglio bekämpft in der Erzählung sein eigenes Ich und wird zum Nicht-Ich, ein Nicht-Ich das aus dem Genius entsteht, so wie die innere Zerspaltung des König Ophiochs von einem Dämon verwirklicht wurde - hier sei aber eben an die Mehrdeutigkeit von Genius und Dämon erinnert, denen keine Werte im moralischen Sinne auferlegt werden sollten, da sie ja ein wandelbares Prinzip verkörpern, ein merkurialisches Prinzip der Tat, der Aktivität, des Wandels und der Veränderung. Doch das Ich und Nicht-Ich, eine Zweiheit, muß auch unter dem Blickwinkel einer zyklischen Veränderung der Verarbeitung aller Eindrücke, Bilder, Erfahrungen, Wünsche und Hoffnungen gesehen werden, im Sinne daß das Menschliche die Einheit eben durch die Erinnerung schaffen kann, daß also das Ich eine Zusammensetzung gewesener und potentieller zukünftiger Ichs ist, die ein Kontinuum der menschlichen Persönlichkeit bilden. Aus dieser Perspektive hatte im Mittelalter die memoria als Teil der prudentia im geistlichen Leben eine besondere Rolle gespielt, da sie ja die Erfahrungen der Vergangenheit lebhaft im Gedächtnis behalten sollte um somit einen tugendhaften Lebenswandel zu erzielen. Geistige Orte, Orte der Erfahrung, sollten auch in Hoffmanns Prinzessin Brambilla wiederum erweckt werden: "Denn seht", sagt Celionati, "Ihr habt Euren Prinzen ganz und gar vergessen, und, steht vielleicht ein Bildnis noch in Eurem Innern, so ist es farblos, stumm und starr geworden, und Ihr vermöget nicht, es ins Leben zu rufen" (H 225). Doch ein ins Leben rufen, die Lebendigkeit archetypisch fixierter Bilder bzw. Handlungs- und somit Kommunikationsstrukturen kann nicht durch ein meditatives Versenken geschehen (da der Gegenstand der Meditation faktisch schon vorhanden ist und nur noch an ihm bis zur gesamten Klarheit geistig festgehalten wird), sondern durch eine Wiedererinnerung längst entschwundener Bilder, die in einem bunten Wandeln durch geistige Orte wieder “aktiviert” werden, ein Wandeln, das eigentlich eine Wiederherstellung gewesener (und vergessener), durch Bilder ausgedrückter Werte ist. Diese Bilder scheinen fast einem hermetisch-alchemistischen Diskurs entnommen zu sein, also einer Denkweise, in der alle seelischen Vorgänge und Veränderungen die Veredelung und Verklärung der menschlichen Seele angestrebt hatten. Einen solchen Wandel durch das Labyrinth des Lebens, verdeutlicht durch das Fratzenhafte, Maskierte, Geheimnisvolle und Undurchschaubare unternehmen auch die Gestalten aus Hoffmanns Prinzessin Brambilla: hinter diesen farbfrohen “Ungereimtheiten und Spukereien” befindet sich ein “tiefer Grund, eine aus irgendeiner philosophischen Ansicht des Lebens geschöpfte Hauptidee, der dem Märchen Seele zu schaffen” vermag (H 211).


Literatur:

1. Hoffmann, E. T. A.: Späte Werke, Winkler Verlag: München 1977.

2. Kuhn, Barbara: Gedächtniskunst im Unterricht, Iudicium Verlag: München 1993.

3. Starobinski, Jean: Melancolie, nostalgie, ironie, Editura Meridiane: Bucureºti 1993.

4. Yates, E. A.: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare, Acta Humaniorum: Weinheim 1991.


ANMERKUNGEN:

(1) Hoffmann, E. T. A., Prinzessin Brambilla. In: Späte Werke, Winkler Verlag, München 1977, S. 211. Auch als H abgekürzt, dem die Seitenangabe folgt.

(2) Ebd.

(3) Kuhn, Barbara, Gedächtniskunst im Unterricht, Iudicium Verlag, München 1993.

(4) Ebd.

(5) Ebd.

(6) Hoffmann, E. T. A.: Prinzessin Brambilla, S. 253.

(7) Yates, E. A.: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare, Acta Humaniorum: Weinheim 1991, S. 42.

(8) Yates, a.a.O., S. 124.

(9) Hoffmann, E. T. A.: Prinzessin Brambilla, S. 211.

(10) Ebd., S. 220f.

 

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Zeitschrift der Germanisten Rumäniens, 6. Jg., 1-2 (11-12) / 1997, S. 113-120

 

 

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