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Zeitschrift der Germanisten Rumäniens, 13.-14. Jg., 1-2 (25-26) / 2004, 1-2 (27-28) / 2005, S. 93-101

 

 

Traditionalismus versus Modernismus am Beispiel von Thomas Mann und James Joyce


Carmen Elisabeth Puchianu

 

   Die Diskussion um Traditionlismus und/oder Modernismus scheint sich gerade an Schriftstellern zu entfachen, deren Leben und Werk nicht zufällig mit sog. Endzeiten zusammenhängen, oder anders: deren Leben und Werk in mehrfacher Weise im Umkreis von Zeitenwende(n) stehen, so daß eine gewisse Variabilität, ein gewisses Schwanken zwischen den Fronten sozusagen eine augenfällige Konstante und Gemeinsamkeit ausmacht. Nicht zu unrecht oder gar von ungefähr trifft solches auf sowohl Thomas MANN als auch auf James JOYCE zu. Allein eine biographische Skizze vermag einem überraschende Gemeinsamkeiten im Lebensablauf der beiden Schriftsteller zu enthüllen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.

Biographischer Abriß

   Als echte Generationskollegen machen MANN (geb.1875) und JOYCE (geb.1882) rein biographisch ähnliche Erfahrungen: Beide stammen aus gehoben patrizischen Familien, wobei das Verhältnis zur Mutter bzw. das mütterliche Erbteil wesentlich bestimmender wirken sollte für die spätere Laufbahn. Keineswegs erfreulich ist beider Erfahrung mit der Schule zu nennen. Wurde MANN zunächst privat unterwiesen, und bedeutete ihm der spätere Schulbesuch im besten Falle eine lästige Pflichtausübung , muß JOYCE eine beinahe militärisch strenge Erziehung vom Typus der Jesuitenschule über sich ergehen lassen.

   In Lübeck schafft Mann nur das Einjährige und geht aus der Obersekunda ab, in München nach dem Familienumzug reicht es zumindest für ein Jahr Studium an der Technischen Hochschule (1895-96), während JOYCE 1898 auf das katholische University College in Dublin geht und nach vier Jahren ein Diplom für neue Sprachen erwirbt. In Paris beginnt er ein Medizinstudium, das er allerdings nach einem Jahr abbricht.

   Beide finden ihre eigentliche Berufung im Musischen, so daß beide früh den Schritt hin zur Literatur wagen und dies mit nicht geringem Erfolg. Die dichterische Auseinandersetzung mit der eigenen Jugenderfahrung erfolgt für beide Autoren in dem jeweils ersten Roman: in Die Buddenbrooks (1900) und A Portrait of the Artist as a Young Man (1916). Beide heiraten etwa um die selbe Zeit ( 1905 bzw. 1904) und suchen offensichtlich ihr gefährdetes Künstlertum im Schutze disziplinierter und gediegener Bürgerlichkeit zu hegen. Wähnt Mann in der Ehe nicht lediglich jene leidigen „Hunde im Souterrain“ zu bändigen, die ihm stets unterschwellig zu schaffen machen, sondern vor allem seinem Status als Repräsentant gerecht zu werden, muß Joyce ähnliche Absicht gehegt haben.

   Früher oder später gehen beide den Weg des Exils, wobei Joyce zwar die Grenzen Europas nicht verläßt, seinem Heimatland Irland jedoch endgültig den Rücken zuwendet. Mann verschlägt das Schicksal wesentlich weiter, trotz ständiger Bemühung um eine Rückkehr. Letzte Station wird für den einen wie für den andern die Schweiz sein. Beide teilen die gleiche Begabung, - manche möchten eher von einer Einschränkung sprechen: sie sind beide gleichermaßen große Finder statt Erfinder von Geschichten.

   Beide stützen sich größtenteils auf Wirklichkeit und eigenes Erleben, wenn es um das Schreiben geht. Beide leisten Großes im Epischen, dilettieren viel mehr im Lyrischen wie Dramatischen. Notwendig für ihre Romane erweist sich stets die topographische Kulisse der jeweiligen Heimatstadt: Lübeck und Dublin fungieren als variables aber allgegenwärtiges Medium, sozusagen als notwendige „Lebensform“, um mit Thomas Mann zu sprechen, darauf Alltägliches sich zum Mythischen oder Parodischen wandelt. Nicht zuletzt sei hier darauf hingewiesen, daß beide Schriftsteller eine auffallende Anfälligkeit zeigen zu Krankheiten realer oder auch nur hypochondrischer Art: MANN äußert oft Beschwerden des vegetativen Nervensystems, der Atem- und Luftwege, sowie häufige "Affektationen" stomatologischer Natur, während JOYCE sich bekanntlich zahlreicher Augenoperationen unterziehen mußte.

   Auch wenn es nebensächlich erscheinen mag, will hier schließlich darauf hingewiesen werden, daß beide immer wieder das Glück haben, weibliche Gönner und Mäzene anzutreffen, die sich äußerst förderlich für ihre entsprechenden Karrieren auswirkten. Gemeint sind Agnes MEYER und Sylvia BEACH.

Eine „unvermutete Beziehung“

   Die hier angedeutete Skizze reicht sicherlich nicht aus, um eine Parallele zwischen den genannten Autoren ins Auge zu fassen oder gar zu rechtfertigen. Zumal m.E. der jüngere James JOYCE den älteren kaum auf irgendeine Weise zur Kenntnis genommen oder dessen Werk näher gekannt zu haben scheint, obzwar ihm die deutsche Literatur nicht gerade fremd gewesen ist.

   Es ist eher Thomas MANN gewesen, der sich bewußt mit dem jüngeren Autor in ein Verhältnis zu bringen gewußt hat. Eine erstaunliche Haltung auf jeden Fall für die Kenner des Schriftstellers, der gerade seinen Zeitgenossen gegenüber grundsätzlich zurückhaltend wenn nicht gar geringschätzig reagiert. JOYCE und KAFKA dürften da Ausnahmen gebildet haben.

Es ist entschieden ein außerordentlicher Fall, daß bei Ihren literarischen Studien der Autor zugegen ist und mit Ihnen sein Werk betrachtet. Zweifellos hätten Sie es vorgezogen, von Monsieur Voltaire oder Segnor Cervantes einige persönliche Bemerkungen über ihre berühmten Bücher zu hören. Aber das Gesetz der Zeit und der Zeitgenossenschaft bringt es nun einmal mit sich, daß Sie mit mir vorlieb nehmen müssen, mit dem Verfasser des ZAUBERBERGS, der nicht wenig verwirrt ist, sein Buch den großen Werken der Weltliteratur als Studienobjekt eingegliedert zu sehen. Die Generosität Ihres verehrten Lehrers hat es nun einmal für richtig gehalten, daß auch ein modernes Werk im Zyklus dieser Stunden gelesen und analysiert werden solle (...),

so Thomas Mann in seiner Einführung in den Zauberberg. Für Studenten der Universität Princeton aus dem Jahre 1939[1].

   Man beachte im obigen Zitat die Schlüsselbegriffe „Gesetz der Zeit“ sowie „Zeitgenossenschaft“ und „modernes Werk“: der Autor , so viel ist klar, versteht sich als Vertreter neuer, gegenwärtiger, also moderner Literatur und setzt sich ab von einer bestehenden Tradition, einer Reihe, die er mit den berühmt gewordenen Büchern eines Cervantes und Voltaire exemplifiziert. Einiges an Selbstgefälligkeit und Selbstbewußtsein klingt mit wie jedes Mal, wenn Thomas MANN sich bekennerisch zu äußern beliebt. Selbstgefällig auch dadurch, daß die gewählte Reihe keineswegs eine zufällige ist, sondern eine traditionelle Orientierung der Romanliteratur bedeutet, der MANN sich nur zu gern zugesellt. Die Gesellschaft wird ihm gar nicht abzusprechen sein, ebenso wenig wie seine Zeitgenossenschaft, also seine Modernität, oder anders: seine Zugehörigkeit zur Moderne.

   Wenige Jahre später, 1942, äußert sich Mann abermals über einen seiner Romane, indem er das Beiwort „modern“ ins Spiel bringt: es geht um die Josephstetralogie, deren Entstehung mit dem Wunsch des Verfassers zusammenhängt,

diese reizvolle Geschichte (gemeint ist die biblische) mit modernen Mitteln - mit allen modernen Mitteln , den geistigen und technischen - zu erneuern und erzählerisch frisch hervorzubringen (...): Dabei verbanden sich diese Experimente fast sofort mit dem Gedanken einer Tradition (...)[2]

   Und wieder rückt Mann sich zweideutig in die unmittelbare Nähe sowohl von Moderne als auch von Tradition, wenn er von dem Vorhaben spricht, über den biblischen Joseph zu schreiben. Denn hier klingt GOETHE nach und dessen Absicht, die Geschichte auszugestalten zum Erzählwerk. Der Nachfahre weiß nicht allein von der Tradition, er setzt sie fort, indem er das Vermögen des epischen Erzählers ausnutzt aus dem belanglos Anekdotischen, dem Alltäglichen eine weitläufig bedeutsame Geschichte zu spinnen, in alle Einzelheiten einzugehen und dem Moment Bestand und Würde zu verleihen. Aber nicht nur das: denn in dem gleichen Vortrag (siehe Gesammelte Werke, Bd.12) entwirft MANN eine, man möchte glauben, Endzeitsituation des Romans schlechthin: poetologisch bekennt er sich dem modernen Zeitgeist und führt uns die Sackgasse vor Augen, die das Genre erwartet:

Der dritte Joseph ist durch seinen erotischen Inhalt der romanhafteste Teil eines Werkes, das als Ganzes genötigt war, aus dem Roman etwas anderes zu machen als man gemeinhin darunter versteht. Die Variabilität dieser literarischen Form war immer schon sehr groß. Heute aber sieht es beinahe so aus, als ob auf dem Gebiet des Romans nur noch das in Betracht käme, was kein Roman mehr ist.[3]

   Wortwörtlich wiederholt Mann seine Sentenz von der Entwicklung des Romans in seinen Aufzeichnungen zum Faustus-Roman 1949, interessanterweise in unmittelbarer Verbindung mit einer Bemerkung über seinen Zeitgenossen James JOYCE, dessen Bücher er allerdings nie gelesen hat:

Sehr aufmerksam las ich ein Buch, das nicht unmittelbar zur Sache sprach, aber durch seine klugen Analysen mir vieles die Situation des Romans und meine eigene Stellung in seiner Geschichte Betreffende ins Bewußtsein rief: James Joyce von Harry Levin. (...) Schriften wie die von Levin und Campbells großer Kommentar zu Finnegans Wake haben mir manche unvermutete Beziehung und (...) sogar Verwandtschaft klargemacht. Mein Vorurteil war, daß neben Joyces exzentrischem Avantgardismus mein Werk wie flauer Traditionalismus wirken müsse. (...)

   As his subject matter reveals the decomposition of the middle class /.../ Joyce`s technique passes beyond the limits of realistic fiction. Neither the Portrait of the Artist nor Finnegans Wake is a novel strictly speaking and Ulysses is a novel to end all novels.

   Das trifft wohl auf den Zauberberg, den Joseph und Doktor Faustus nicht weniger zu, und T. S. Eliots Frage whether the novel had not outlived its function since Flaubert and James (...) korrespondiert genau meiner eigenen Frage, ob es nicht aussähe, als käme auf dem Gebiet des Romans heute nur noch das in Betracht, was kein Roman mehr sei.[4].

   Die Doppelbödigkeit derartiger Stellungnahmen erscheint m.E. besonders interessant, da es um einen Autor geht, den die Schulgermanistik allzu gern einer gut bürgerlich-realisti-schen Tradition zuordnet und weniger Rechnung trägt jener modernen, oder anders: avantgardistischen Qualität, die von bewußter Zeitgenossenschaft hervorgerufen wurde und daher von solcher zeugt. Denn hier schon zeigt sich deutlich, was Tradition für den Schriftsteller bedeuten : ein bewußtes Anhängen an Vorlagen und Vorgaben, eine stilistische Identifikation mit literarischem, angelesenem Text, ein persönliches Arrangement mit der Vergangenheit. Das alles muß berechtigterweise dann zu dem Neuen führen und dem Ausbrechen aus der Tradition.

   Das weitere Anliegen der Arbeit ist es , die hier angesprochenen Begriffe zu klären bzw. zu zeigen, welcher Tradition MANNs Romantheorie und -praxis angehört und in wiefern er, wie JOYCE, einen berechtigten Anspruch erhebt, der literarischen Moderne anzugehören. Davon ausgehend bezweckt die Analyse, den mittlerweile etwas vagen wie strapazierten Begriff der Postmoderne auf MANNs Werk anzuwenden und eine vielleicht neue oder zumindest veränderte Lesart vorzuschlagen.

Thomas Mann und James Joyce zwischen Moderne und Postmoderne

   Die rasche Entwicklung der Kunstrichtungen zur Zeit der vorigen Jahrhundertwende bewirkte, daß recht bald die sog. Moderne für tot erklärt wurde. Das zeigt sich bereits darin, daß man statt Moderne gern andere Begriffe einsetz, wie Avantgarde oder Zusammensetzungen darin entweder das Beiwort „Jung-“ oder „Neu-“ erscheint (z.B. das Junge Wien, Jugendstil, Neue Sachlichkeit). Ein derartiger Verschleißprozeß bewirkte, daß ein „neuer“ Begriff zu kursieren beginnt, und zwar der in den 60er Jahren in Amerika entstandene Begriff Postmoderne.

   Postmoderne kann verstanden werden als Nach-Neuzeit oder als Ende der Neuigkeit der Moderne (siehe: GRIMMINGER,16[5]). Eine ähnliche Definition schlägt Brian McHALE vor, wenn er den äußerst problematischen und nicht gerade beliebten Begriff mit dem Zukünftigen oder mindestens dem erneuert Gegenwärtigen in Verbindung bringt. Es handle sich eher um einen Verstärker (intensifier), der dem Begriff Moderne beigegeben wird.

Postmodernism, the thing, does not exist precisely in the way that the „Renaissance“ or „romanticism“ do not exist. (...) These are all literary fictions, discursive artifacts constructed either by contemporary readers and writers or retrospectively by literary historians. And since they are discursive constructs rather than real-world objects, it is possible to construct them in a variety of ways(...) We can discriminate among constructions of postmodernism, none of them any less true or less fictional than the others, since all of them are finally fictions.[6]

   Fiktion hin oder her, zwei Dinge scheinen festzustehen: man kann kaum von einer post-modernen Literatur sprechen, sondern im besten Falle von postmodernen Literaturen, und der Begriff, wenn zwar etwas diffus, benennt den nicht mehr umkehrbaren Zustand einer Nach-Geschichte.

Es gibt keine Innovationen mehr, die Mittel sind erschöpft, mit ihnen hat sich das utopische Vertrauen auf die wunderbare Ankunft der Zukunft verbraucht. (...) Eine neue Unbekümmertheit / prägt die Postmoderne/, mit einem hinterlassenen Erbe umzugehen, über das hinauszuschreiten nicht mehr möglich ist. Insofern ist der postmoderne Zustand ebenso epigonal wie luxuriös ausgestattet: Die babylonischen Türme der Bücher und der Medien des 20. Jahrhunderts stehen ihm zur Verfügung (...). Vor der grau gewordenen Zukunft spielt man mit den Kunstmitteln jeder möglichen Vergangenheit.[7]

   Epigonal und luxuriös, Spiel mit allen Kunstmitteln der Vergangenheit: treffender läßt sich weder der Zauberer kennzeichnen, der sich wohlweislich hinter seinem wettertollen Zauberberg oder dem mythenträchtigen Joseph verbirgt, noch der Herr Satan hinter dem (post)modernen Bloom-Odysseus oder dem geschichtsträchtigen H. C. E. Obwohl die theoretische Diskussion um eine etwaige Gegenüberstellung von Moderne und Postmoderne verhältnismäßig spät aufkommt, nämlich im Anschluß an die 60er Jahre und dann besonders während der 70er und 80er im 20. Jahrhundert fortgesetzt wird, scheint die Moderne wesentlich früher überwunden zu sein.

   Hanns-Josef ORTHEIL bezieht sich auf die amerikanischen Kritiker Irving HOME und Harry LEVIN - Letzterer wird , wie eingangs zitiert, von MANN genannt im Zusammenhang mit seinen Kommentaren über JOYCES Werk - und erwähnt , daß diese in den 50er und 60er Jahren einen rapiden Bedeutungsverlust moderner Literatur diagnostizieren und fügt diesem Urteil ein weiteres hinzu, nämlich die Einschätzung Leslie FIEDLERS, der über Ende der Ära des Modernismus spricht, der „klassisch“ gewordenen Moderne,

kurz vor dem Beginn des ersten Weltkriegs begonnen und in den Kunstromanen von Joyce, Proust und Thomas Mann ihren vollendetsten Ausdruck gefunden habe.[8]

   Die Moderne klagt über das Ende der Kunst und deren Möglichkeiten, während die Postmoderne den Endzustand sicherlich wahrnimmt und selbstreflektierend versucht, „sich der Gestaltungsformen der Tradition durch die Brille der Moderne zu bedienen“( ORTHEIL,812). Auf diese Weise erweist sich das postmoderne Erzählen als ein Spiel, das auf der Voraussetzung beruht, daß Leser und Erzähler wissen, daß es sich um ein Spiel handelt (ORTHEIL, 813). Das Ergebnis wird sein: Ironie, metasprachliches Spiel, karnevaleske Maskerade, Parodie, also Inter-Texte, so daß man mit Recht wird behaupten können:

Viele postmoderne Erzählungen und Romane sind Erzählungen in traditionellem Gewand, die um eine Vielzahl von (...) Inter-Texten gruppiert sind.[9]

   Nicht zuletzt modifiziert die Postmoderne das Verhältnis Autor-Werk nicht unerheblich: das Werk erscheint nicht mehr als „Ausdruck einer schöpferischen Genialität des Autors“ sondern ist viel mehr ein

künstliches Zeichen, das sich zu seiner Hervorbringung gleichsam des Autors bedient hatte. Der Autor „verschwand“ im Werk, sein Schreiben unterlag den immanenten Gesetzmäßigkeiten des Werks, das die gestalterischen Fähigkeiten des Autors dazu benutzte, sich zu entgrenzen.[10]

   Oft genug bekannte Thomas MANN, daß sich ihm seine Geschichten wie selbsttätig zu Größerem, beinahe Uferlosem ausweiten, sich verselbständigen, um ein sich dem geneigten Leser Zutragendes zu werden, das ein eigenes Leben führt. Und vielleicht teilt der Andere das gleiche Los, denn beide sind Schriftsteller der geduldigen Montage, sie tragen zusammen in jahrelanger Arbeit, bieten eine überwältigende Vielfalt an Gestaltungsformen und -möglichkeiten auf und gewinnen der von der Moderne verloren geglaubten Einheit den ganzen ästhetischen Reiz ab, der sich in ironischer oder parodistischer Brechung künstlerisch äußeren kann (siehe: ORTHEIL, 803).

   Autoren wie Thomas MANN und James JOYCE vermögen sich allerdings nicht vollständig wegzudenken aus ihren Werken. In irgendeiner Form schreiben sie immer Auto-biographie und ordnen ihr Schreiben der Ironie, der Parodie, in einem Wort dem Strukturprinzip des mise-en-abyme unter. Zwei grundlegend traditionelle Themen lassen sich mit der Postmoderne assoziieren: jenes der Liebe (des Eros) und jenes des Todes. Beide Themen finden eine enge Verknüpfung, eine regelrechte Verstrickung, sowohl im Werk MANNs als auch in jenem von JOYCE. Der Weg zum Tode führt bei MANN in der Regel über erotische Verlockung, in sofern sich diese kombiniert mit krankhafter Empfindsamkeit und Abwegigkeit bzw. ästhetischer Vergeistigung und Dekadenz. Wie an früherer Stelle angedeutet[11], kann der Tod zwar am Ende jedes Weges seines Protagonisten harren, aber wie in kreisförmiger Wiederholung ergänzen sich die Pole.

   Ähnliches geschieht in den letzten beiden großen Romanen von JOYCE. Am Ende des Weges von Leo Bloom, der ihn zumindest in die Abgrundtiefe einer parodierten Unterwelt verschlägt, steht bejahend das Leben, dessen „vicous circles“ sich mythisch im Finnegans Wake wiederholen. Das Schreiben, so McHALE, erweist sich im Sinne der Postmoderne als eine Flucht vor dem Tod. So zeigt die Geschichte von Gustav von Aschenbach, des alternden Schriftstellers klassischen Ranges, m.E. nicht allein das Zusammenspiel von Liebe und Tod, von Lockung und Verführung, sondern sie illustriert ebenso den Versuch des Schriftstellers - des fiktiven wie des realen - vor dem Tod in die Arme der (homo)erotischen Schönheit zu fliehen. Der Versuch erweist sich notgedrungen jedes Mal als äußerst verfänglich, zumindest im Fiktiven.

Death inhabits texts /.../, because writing carries within it always an element of death, the tragic literary work - or simply the serious written work in general, the work which deals with life and death honestly - often turns out to be in some wayâbout itself... That is to say, a work about death often modulates readily, if eerily, into a work about literature.[12]

   Das läßt ebenso gut die Umkehrung zu: jedes Werk über Literatur ist ein Werk über den Tod!

   Die gesamte Künstlerproblematik, so wie sie sich in den frühen Novellen MANNS bis zu den späten Romanen über den ernsten zum ironisch-parodischen Tenor entwickelt, steht, nüchtern und bei Lichte betrachtet für eine solche postmoderne Lesart. Ein Roman wie Der Zauberberg kann außerhalb dieser Koordinaten gar nicht aufgefaßt werden, um mit HILLEBRAND zu sprechen:

Das Ziel des Romans ist die Darstellung der Humanität, Darstellung der historischen wie kosmischen Situation des Menschen. Der Roman ist der Schnittpunkt beider Linien(...) Aber der letzte Fixpunkt des Lebens eröffnet sich nicht in der Summe aller Einzelheiten, ist nicht die Quantifizierung des Daseinenden, sondern es ist der Tod.[13]

   Hans Castorp verliehrt seine angeborene Devotion vor dem Tode - nicht zuletzt durch die Vermittlung sowohl des Eros als auch der (erzählerischen ) Ironie - und seine Humanisierung führt zum Einbeziehen der Todesidee ins Leben, ohne sich von jener beherrschen zu lassen. Darin besteht seine initiatorische Erleuchtung im Schnee-Kapitel.

   Wenn es stimmt, daß postmoderne Literatur / postmodernes Schreiben eine Flucht vor dem Tod anstrebt, dann stimmt es ebenfalls, daß jene / jenes darauf abzielt, den Tod zu simulieren oder vorzuformen. Es geht gewissermaßen um eine Nachahmung des Todes durch die Konfrontation verschiedener Welten und durch das Zusammenspiel verschiedener Realitäten, um solcherart den eigenen Tod durchzuspielen. Solches geschieht im Erzählwerk MANNS ebenso wie in jenem von JOYCE. Letzterer beendet mindestens drei seiner Prosawerke mit einem Simulacrum des Todes: gemeint ist das Ende von The Dead, der Monolog der Molly Bloom am Ende des Ulysses, sowie der „Untergang“ der Anna Livia Plurabelle in den Wassern der Irischen See (siehe: Finnegans Wake) - eine sich ironisch steigernde Variation des Schlaf/Traum/Todesmotivs, das in ähnlicher Form sowohl bei MANN als auch bei KAFKA anzutreffen ist. Entsprechend der postmodernen Poetologie fließen in den Ulysses und umso mehr in den Finnegan eine Vielfalt von Diskursen in die Textstruktur ein. Dadurch zielt JOYCE vor allem darauf ab, ein kollektives Bewußtsein darzustellen bzw. die Metapher des Bewußtseinsflusses dahingehend zu reflektieren, daß sich hinter dem Bewußtsein kaum eine beständige Welt verbirgt, als viel mehr Typologien (diskursiver Art). Eine derartige Auffassung und Darstelllungsweise läuft darauf hinaus, daß der Tod nicht nur begrenzt erscheint, sondern daß eine Wiederkehr „by a commodius vicus of recirculation“ möglich wird. Den gleichen Kreis beschreitet auch der Zauberer, kehrt stets

zum Anfang, zur Entstehung der Welt, der Himmel und des irdischen Alls aus Tohu und Bohu durch das Wort, das frei über der Urflut schwebte und Gott war[14]

   zurück, um über der Dinge „Ur-Kunde“(13) zu erzählen unter der Schirmherrschaft des (Ab)Gottes Thot von Schmun, dem ägyptischen Gott der Schreibkunst, der als „Zeitenwanderer“ (20) den Weg weist von tiefster Hölle zu den obersten Rängen und nicht ganz fremd ist jenem Shem the Penman, dem Hochstapler-Künstler aus JOYCES Finnegan, der seinerseits eine Wiederholung des Stephen Dedalus zu sein scheint...

   Halb Gott, halb Scharlatan, ist Thot dem Erzähler zugetan, der zwar in der Geschichte ist, aber nicht die Geschichte selbst: „er ist ihr Raum, aber sie nicht die seine, sondern er ist außer ihr, und durch eine Wendung seines Wesens setzt er sich in die Lage, sie zu erörtern“.[15] Die Geschichte quillt aus dem Born,

aus dem alles Geschehen quillt, und erzählt geschehend sich selbst/.../ Hundertmal ist sie erzählt worden und durch hundert Mittel der Erzählung gegangen. Hier und heute geht sie durch eines, worin sie gleichsam Selbstbesinnung gewinnt und sich erinnert, wie es denn eigentlich im Grauen und Wirklichen einst mit ihr gewesen, also, daß sie zugleich quillt und sich erörtert.[16]

   Das ist Mythos vom besten und Metatext zugleich, wie fast alles im Werk des Zauberers: Inszenierung von Aufstieg zum Leben und Fall in den Tod und umgekehrt auch. Der mythische Roman situiert sich, wie der Doktor Faustus, eindeutig an dem Rand des Modernismus, denn er „nimmt an der Epoche seiner Entstehung teil, an der postmodernen Suche nach gültigen Bindungen“.[17]

   Thomas MANN und James JOYCE: sie erscheinen gern als große Finder in ihren Büchern, spiegeln ihr Ich in wiederholbarer Nachfolge und mannigfacher Form: mal als lebensuntüchtiger Künstler und „Bürger auf Irrwegen“, mal als alternder Ästhet oder vom Klimakterium und dem späten Ostern der Sinne heimgesuchte Matrone , mal als keuscher Träumer oder gehörnter Ehemann und geistiger Vater, schließlich als Scharlatan und Hochstapler höherer Schule. Was sich dabei dem geneigten Leser darbietet, ist m.E. ein grandioses Fest karnevalesker Aufmachung, so ganz im Sinne BAHTINS und der Postmoderne.

Statt eines Fazits

  Ging JOYCE den Weg der Zerschlagung alter Formen und Traditionen, schafft MANN Romane unter „ironischer Beibehaltung, wenn auch Auflockerung der überkommenen Form“.[18]

  Beide verschreiben sich dem Prinzip der Ironisierung von Inhalten und der Parodierung der Form, so daß mythische Geschichten entstehen von der Art der Joseph-Romane oder des Wake. Es handelt sich dabei um Kunst, die im Zeichen des Endzustandes und der Endzeit steht. Und beider Ziel ist es, wahr und rücksichtslos das Ende einer Epoche und einer künstlerischen Tradition darzustellen. Schrieb MANN über JOYCE, dieser zeige, wo Romane keine Romane mehr sein können, so kann man schließlich das Gleiche auch über Mann selbst behaupten. Der letzte große Roman, Doktor Faustus (1948), beabsichtigt nicht allein eine Synthese des Künstlermotivs zu machen, sondern parodiert sämtliche Romane des Zauberers und verweist dezidiert auf das unausweichliche Ende: nämlich auf Erstarrung und Sterilität des Künstlers nicht aber der Kunstform selbst.

  Zum Schluß: hier kann weder von „flauem Traditionalismus“ noch von "exzentrischem Avantgardismus“ die Rede sein. Viel eher situieren sich Autoren wie Thomas MANN und James JOYCE m.E. wesentlich mehr zwischen Moderne und Postmoderne , als zwischen Tradition und Moderne. Oder anders: der Weg jedes Endzeitkünstlers führt notgedrungen von der Tradition über die Moderne zur Postmoderne. Denn jede Anstrengung, sich der Gestaltungsformen der Tradition durch die Brille der Moderne zu bedienen, muß letztendlich als spezifisch postmodern gewertet werden[19].

 

Literatur:

Primärliteratur:

Joyce, James:

1.     The Dead in :Dubliners.Panther Books, Granada Publishing Ltd. London, 1984, S. 160-201

2.     A Portrait of the Artist as a Young Man.Panther Books, London, 1983

3.     Ulysses.Penguin Books, London, 1975

4.     Finnegans Wake.Faber and Faber, London, 1972

Mann, Thomas:

1.     Anna Karenina. Einleitung zu einer amerikanischen Ausgabe von Leo Tolstoi. Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans. Einführung in den Zauberberg. Für Studenten der Universität Princeton. Joseph und seine Brüder. Ein Vortrag. In: Gesammelte Werke, Bd. 12, Aufbau Verlag,Berlin, 1956

2.     Die Kunst des Romans. Ein Vortrag für Princeton Studenten. In: Gesammelte Werke, Bd. 11: Der Zauberberg, Aufbau, Berlin, 1968

Sekundärliteratur:

1.     Angelova, Penka: Romanwelten. Ansichten zum Roman des  20. Jahrhunderts. PIC Verlag, Veliko Tarnovo, 1995

2.     Baumgart, Reinhard: Drei Wege zum Werk: Thomas Mann. Franz Kafka. Bertolt Brecht. Fischer Verlag, 1993

3.     Demetz, Peter: Formen des Realismus: Theodor Fontane. Kritische Untersuchungen. Carl Hanser Verlag, München, 1966

4.     Grimminger, Rolf: Literarische Moderne. Europäische Literatur im 19. und 20. Jahrhundert. Rowohlt, 1995

5.     Gross, John: James Joyce. dtv, München, 1974

6.     Gronicka, Andre von: Myth plus Psychology: a stylistic Analysis of Death in Venice. In: Thomas Mann, ed. by H. Hatfield, Prentice Hall, New Jork, 1964 (46-61)

7.     Hillebrand, Bruno: Theorie des Romans. Erzählstrategien der Neuzeit. Fischer Verlag, 1996

8.     Kiberd, Declan: Inventing Ireland. The Literature of the Modern Nation. Vintage, London, 1995 (S.327-59)

9.     Koopmann, Helmut: Der klassisch-moderne Roman in Deutschland Thomas Mann - Döblin - Broch. Kohlhammer, Stuttgart Berlin Köln Mainz, 1983

10.  Koopmann,Helmut: Thomas-Mann-Handbuch, Kröner Verlag, Regensburg, 1995

11.  McHale, Brian: Postmodernist Fiction. Routledge, London and New York, 1992

12.  Constructing Postmodernism. Routledge, London and New York, 1987

13.  Mayer, Hans: Thomas Mann, Suhrkamp, 1984

14.  Muecke, Brian: Irony and the Ironic. Methuen, London and New York, 1986

15.  Müller-Seidel, Walter: Theodor Fontane. Soziale Romankunst in Deutschland. Metzler Verlag, Stuttgart-Weimar,1994

16.  Nubert, Roxana: Raum- und Zeitbeziehungen in der deutschsprachigen Literatur. Mirton Verlag, Temeswar, 1998.


[1] Thomas MANN: Gesammelte Werke, Bd.12, Aufbau-Verlag, Berlin, 1956, S. 431-46.

[2] Thomas MANN, ebenda, S. 447.

[3] Thomas MANN, ebenda, S. 454.

[4] Thomas MANN, ebenda, S. 237-38.

[5] Rolf GRIMMINGER, Literarische Moderne. Europäische Literatur im 19. und 20. Jahrhundert. Rowohlt, 1995.

[6] Brian McHALE, Postmodernist Fiction. Routledge, London an New York, 1992, S. 4.

[7] Rolf GRIMMINGER,a.a.O.,S.16-7.

[8] ORTHEIL, Texte im Spiegel von Texten. Postmoderne Literaturen, S. 805. In: GRIMMINGER, a.a.O., S. 805.

[9] ORTHEIL, ebenda, S. 815.

[10] ORTHEIL, ebenda, S. 810.

[11] Im Mittelteil ihrer Dissertation unternimmt die Verfasserin eine detallierte Analyse der Todesmotivik in Manns Zauberberg in Verbindung mit der Handhabung der Erzählkategorie der Zeit im gleichen Roman.

[12] Brian McHALE, a.a.O., S. 231.

[13] Bruno HILLEBRAND, Theorie des Romans.Erzählstrategien der Neuzeit. Fischer Verlag, 1996, S. 283.

[14] Thomas MANN, Die Geschichten Jaakobs, Fischer Verlag, 1990, S. 12.

[15] ThomasMANN, Joseph in Ägypten, Fischer Verlag, 1990, S. 616.

[16] Thomas MANN, ebenda, S. 616.

[17] Herbert LEHNERT:Thomas Mann und die deutsche Literatur seiner Zeit in: H. KOOPMANNS Thomas-Mann-Handbuch, Kröner Verlag, Regensburg 1995, S. 159.

[18] Hans MAYER, Thomas Mann, Suhrkamp, 1984, S. 182.

[19] Siehe hierzu ORTHEIL, a.a.O., S. 812.

 

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