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KUNST UND KÜNSTLER

in den essayistischen Schriften von Günter Grass

Ioana Diaconu

Eines der Hauptthemen in Grassens Prosa, aber auch in seinen Gedichten und in den Theaterstücken „Die bösen Köche“ und „Die Plebejer proben den Aufstand“, die Auseinandersetzung mit der Rolle der Kunst und der Künstler in der Gesellschaft und in der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit, durchzieht wie ein roter Faden auch seine Essays, Reden und Interviews. Ob politische Reden:

Auch das Nachdenken über Deutschland ist Teil meiner literarischen Arbeit. Seit Mitte der sechziger Jahre bis in die gegenwärtig anhaltende Unruhe hinein gab es Anlässe für Reden und Aufsätze[1]

oder Reden gehalten anlässlich verschiedener literarischer Ereignisse oder der Verleihung von Preisen, kommt dieses Thema mit seltenen Ausnahmen fast in allen öffentlichen Äußerungen des Schriftstellers zum Ausdruck. Die Stellungnahmen von Grass bezüglich Künstler und ihrer Kunst können unter den gemeinsamen Nenner von Toleranz und Ausdrucksfreiheit gebracht werden. Somit herrscht bei Grass immer ein Bezug zwischen Geschichte, Politik und Gesellschaft einerseits und Literatur, Kunst im Allgemeinen andererseits. In der 1970 verfassten Rede über Literatur und Politik begründet Grass den Bezug der Literatur zur Politik dadurch, dass, weil die Politik ein Teil der Wirklichkeit sei und die Literatur auf der Suche nach der Wirklichkeit, Literatur Politik nicht aussparen könne.

Mir sind Politik und Literatur nie einender ausschließende Gesetze gewesen: Die Sprache in der ich schreibe, ist krank an Politik; das Land in dem ich schreibe, trägt schwer an den Folgen seiner Politik; die Leser meiner Bücher sind wie ich, der Autor, gezeichnet von Politik: es wird wenig Sinn haben, Politikfreie Idyllen zu suchen, denn unversehens sind selbst die Mondmetaphern makaber geworden. [2]

Durch diese Beziehung begründet der Schriftsteller Günter Grass sein politisches Engagement, das aber nicht über Literatur zu verwirklichen ist, sondern durch den direkten Eingriff in das politische Geschehen, durch parteiische Anteilnahme. Literatur im Dienste einer Ideologie oder einer Revolution widerspricht dem Sinn der Literatur, so wie ihn Grass versteht, und zwar die Wahrheit aufzudecken, die existierenden Verhältnisse zu klären.

Ein Jahr vorher hatte Grass in der auf dem Belgrader Schriftstellerkongress gehaltenen Rede sowohl vor Instrumentalisierung der Kunst durch Ideologien als auch vor der Weltfremdheit der Kunst, der l’art pour l’art gewarnt.  Mit dem Satz „Ich bin Gegner der Revolution[3] beginnt er seine Argumentation gegen die These: „Die Literatur habe die Magd der Revolution zu sein“[4]. Der sozialistische Realismus oder der italienische Futurismus, der schließlich in den Faschismus gemündet war, sind nur zwei Beispiele, dafür wie eine revolutionäre Literatur sich in eine totalitäre Ideologie umwandeln kann, dafür, dass „die Mechanismen der Revolution unabhängig davon funktionieren, ob sie von linken oder rechten Ideologien gefüttert worden sind“ [5], und dafür, dass sich die rechte wie die linke Literatur sich zu den jeweiligen Revolutionen nicht unähnlich verhalten hatten. So würden sich Brecht mit seinen Stalin-Hymnen, Anna Seghers und Ilja Ehrenburg in derselben Position wie Heidegger, Benn oder Ezra Pound befinden.

Revolutionen und Diktaturen, aber auch demokratische Gesellschaften prägen das Dasein und Schaffen der Künstler. In der Rede vor dem Europarat-Symposium in Florenz, am 30.06.73 über „Die Meinungsfreiheit der Künstler in der Gesellschaft“ führt Grass seine Gedanken über Literatur und Politik oder Revolution weiter. Seine Argumentationen beschränkt er nicht auf seine Privatmeinung, sondern er möchte im Namen aller Künstler sprechen (z. B. aus der Tschechoslowakei oder Griechenland), denen die Freiheit der Meinung genommen wurde, im Namen der politisch verfolgten Künstler. Ihnen, und den Künstlern, die am Rande der Gesellschaft isoliert wurden, stellt Grass die Haltung der Künstler gegenüber, die sich mit den jeweiligen Diktaturen arrangieren konnten, sich als Elite abhoben und ihre Kunst zum Schmuck und im Dienste der Macht stellten. So kann man nicht alle Künstler als freiheitsliebend, harmonisch geeint und tolerant betrachten, die sich in Opposition zum bösen,  die Freiheit beschränkenden Staat und der Wirtschaft befinden. Nicht selten hat es Fälle gegeben, in denen Künstler im Namen von Ideologien von ihren eigenen Kollegen boykottiert wurden. Der vom spanischen Bürgerkrieg zurückgekehrte britische Schriftsteller George Orwell fand keinen Verleger für seinen Roman „Mein Catalonien“, Alexander Solschenizyn wurde auf infamster weise von sowjetischen Schriftstellern angegriffen, der Sänger Wolf Biermann wurde in der DDR von den Schriftstellern Hermann Kant und Peter Hacks gemieden. So finden sich in Großbritannien wie in der Sowjetunion oder in der DDR Künstler, die im Dienste der jeweiligen Diktaturen stehen, Diktaturen, die durch harmlose Kunst ihre Bestätigung brauchen. Einen ähnlichen Standpunkte hatte der Schriftsteller Alfred Döblin 1930 in seinem Aufsatz „Die Kunst ist nicht frei sondern wirksam – „ars militans“ geäußert. Noch keine kommunistischen Diktaturen in Betracht ziehend, erklärt Döblin, wie Künstler und ihre Kunst auch durch finanzielle Abhängigkeit verharmlost werden können, und somit in Dienste der jeweiligen Macht genommen werden können.

Grass bezeichnet Alfred Döblin in vielen Essays und Reden als seinen Meister. Die Art in der Döblin Geschichte als einen absurden Prozess sieht, der von Daten und Fakten belegt werden kann, und in der er die Geschichte durch Literatur zu deuten versucht, ist für Grass beispielhaft für die Rolle der Literatur. Im Interview „Von morgens bis abends mit dem pädagogischen Wahn konfrontiert“, geführt am 16.05.1980 in Berlin, stellt Grass seinen Standpunkt über die Beziehung von Literatur und Geschichte dar. Er plädiert für einen fachübergreifenden Literaturunterricht, der in Verbindung mit dem Geschichtsunterricht gesetzt werden müsste, und nicht aus dem historischen Kontext gelöst werden darf. So ist für Grass auch die Behandlung von Heine, Büchner oder Hauptmann („Glanz und Elend der Europäischen Aufklärung“) ohne die Erklärung des geschichtlichen Hintergrunds nicht denkbar.

Wissen Sie, mit Heine und mit den anderen Schriftstellern wird man in der Schule erst dann richtig umgehen, wenn wir die klassischen Fächer auflösen. Es ist also sinnlos, ein einzelnes Gedicht von Heine zu interpretieren, zum Beispiel das Webergedicht, wenn nicht gleichzeitig das andere klassische Fach – wenn das im Deutschunterricht passiert, ist das andere klassische Fach der Geschichtsunterricht – herangezogen wird. Sie können das eine nicht von dem anderen lösen, und eine „bloß“ ästhetische Interpretation des Webergedichts, um bei diesem Beispiel zu bleibe, führt zu einer einseitigen Sicht. [6]

Aber nicht nur die Geschichte ist eine notwendige Ergänzung der Literatur, sondern auch die Literatur eine notwendige Ergänzung der Geschichte. Fontanes Roman „Der Stechlin“ oder Thomas Manns „Die Buddenbrooks“ sollte man als Werke betrachten, die die sozialpolitischen Gegebenheiten ihrer Zeit reflektieren, da sie Werke von Schriftstellern sind, die aufmerksame Zeitgenossen waren.

Die Spiegelung von Zeitgeschichte durch jeweils gegenwärtige Literatur setzt Autoren voraus, die sich als Zeitgenossen begreifen, denen selbst die trivialsten politischen Vorgänge kein außerästhetischer Störfaktor, vielmehr realer Widerstand sind, die mit jedem geschriebenen Wort der Zeitlosigkeit einverleibt sein mögen und mangelnde Distanz zum augenblicklichen Geschehen durch erzählerische Einfälle auszugleichen vermögen.[7]

sagt Günter Grass in seiner Rede auf dem internationalen PEN Kongress in Hamburg, 22.–28.06.1986. Beispiele von Schriftstellern, die sich nicht den gegenwärtigen Zeitgeschehnissen entziehen wollten, sind für Grass die Schriftsteller Neruda, Hemingway, Orwell, Malraux,

Koester, Renn, Kirsch, die sich mit dem spanischen Bürgerkrieg aus direkter Erfahrung auseinandergesetzt hatten. Als direkte Zeugen der Geschehnisse hatten sie die möglichen negativen Wirkungen der Ideologien, in deren Namen der Krieg geführt wurde, frühzeitig erkannt und in ihren Werken dargestellt. Diese Widerspiegelung von Geschehnissen aus dem spanischen Bürgerkrieg und der daraus entnommenen Ideen und Haltungen ist für Grass ein Beispiel dafür, wie der Teil der Geschichte, der durch militärische Siege und durch Dokumente bekannt ist, durch die Geschichte der Einzelnen, Leidenden ergänzt wird. So könne man zum Beispiel ein vollständiges Bild über den Dreißigjährigen Krieg nicht ohne Grimmelshausens „Simplizissimus“ haben, oder man könnte Remarques „Im Westen nichts Neues“ als eine Ergänzung der historischen Fakten über den 1. Weltkrieg betrachten.

Wie die jeweilig zeitgenössische Literatur ein die Geschichte ergänzendes Panorama liefert, erklärt Grass anhand von den drei Stadtromanen der Autoren John Dos Passos („Manhattan Transfer“),  Emilio Gadda („Die grässliche Bescherung in der Via Merulana“) und Alfred Döblin („Berlin Alexanderplatz).

Die Helden dieser Romane scheitern, sie stehen auf der Verliererseite, ihr Leben wird vom Chaos der Großstadt geprägt. Ihr Leben in der Großstadt liefert ein zeitgeschichtliches Panorama, das bei Döblin das Ende der Weimarer Republik, bei Dos Pasos die Vorahnung der Depression und bei Emilio Gadda den aufkommenden Faschismus dokumentieren, und die politischen Zustände werden über private Gegebenheiten angedeutet.

Zu den Schriftstellern, die sich als Zeitgenossen verstehen, zählt Grass den Autor Uwe Johnson, dem er in vielen seiner Essays gedenkt.

In Johnsons Werk sieht Grass ein Zeitzeugnis. Auch am Beispiel der Lebensgeschichte der Einzelnen hat der Schriftsteller die Entstehungsgeschichte der DDR, die Übergangsphase vom Nationalsozialismus zum Stalinismus dargelegt. Anlässlich des Todes von Uwe Johnson beschreibt Grass im März 1984 im „Abschied von Uwe Johnson“, in wenigen Sätzen Johnsons Werk und die Freundschaft mit ihm, von der er sagt, sie hätte aus Distanz, heftiger Nähe, neuem Fremdsein und Fremdbleiben bestanden.

Die langjährige Freundschaft und Zusammenarbeit mit Johnson schildert Grass in einem Gespräch mit Roland Berbig („Distanz, heftige Nähe Fremd werden und Fremd bleiben“, 18.03.91 in Behlersdorf). Die Schriftsteller hatten sich bei der Buchmesse 1959 kennen gelernt, und eine Freundschaft geschlossen, die auf ihre schriftstellerische Tätigkeit beruhte. Sie hatten „handwerkliche“ Gespräche geführt, während der Entstehung von Grassens Romane „Katz und Maus“ und „Hundejahre“ und Johnsons „Das dritte Buch über Achim“ und „Zwei Ansichten“.

Es ging um schriftstellerisch komplizierte Fragen, wie Kapitelanfänge und ähnliches. Diese Art von Schreibtechnik, die so verschieden wir beide waren, doch auf genaues Recherchieren sich berief und davon ausging, dass Vergangenheit, unter anderem, durch die Belebung von verschollenen Details, die erst auszugraben sind, wieder einsehbar gemacht werden kann.[8]

Grass und Johnson teilten eine gemeinsame Auffassung über Literatur und Geschichte, über die Rolle der Literatur im Verlauf der Geschichte und in der Entwicklung der Gesellschaft und die Nostalgie für die verlorene Heimat. Das gemeinsame Literaturverständnis war Grundlage der Zusammenarbeit der beiden Schriftsteller hinsichtlich des Aufstellens von Bibliotheken für die Bundeswehr. Grass hatte im Herbst 1965 („Was lesen die Soldaten“, 1969) fünf Bibliotheken für die Bundeswehr und eine Bibliothek für das Ersatzdienstlager der Wehrflüchtlinge in Heidelberg gestiftet, um durch Literatur der noch immer faschistisch geprägten Erziehung der Bundeswehrsoldaten entgegenzusteuern. Über die von Uwe Johnson erstellte Bücherliste sagt Grass, sie sei noch immer mustergültig.

Diese Bibliotheken sind nach seiner Maßgabe ausgewählt worden. Eine richtige Mischung aus lesbarer und dennoch anspruchsvoller Literatur, Nachschlagewerken aufklärender Art, gut ausgewählter Kriminal- und Unterhaltungsromane. Das ist Johnsons Auswahl und Handschrift.[9]

Das Portrait, das Günter Grass seinem Freund Uwe Johnson macht, ist für ihn gleichzeitig Anlass, sich mit der Situation der Literatur in der DDR auseinanderzusetzen. Bei öffentlichen Angelegenheiten (Lesungen in der DDR), hatte Grass immer wieder versucht, Uwe Johnson ins Gespräch zu bringen, da seiner Meinung nach, sowohl Hermann Kants Roman „Die Aula“ als auch Christa Wolfs Roman „Der geteilte Himmel“ ohne Uwe Johnsons Roman „Mutmaßungen über Jakob“ nicht möglich gewesen wären. Für die Rezeption der DDR-Literatur in der DDR, also für die Leser in diesem Land betrachtet Grass die Verweigerung der Veröffentlichung von Johnsons Büchern als einen nicht wieder gut zu machenden Verlust:

Nehmen Sie Das dritte Buch über Achim. Diese Generation ist regelrecht um einen wichtigen Autor betrogen worden, ein wichtiger Autor zur Kenntnis und Verständnis des eigenen Landes.[10]

Verlorene Heimat, Reflexion über zeitgenössische Verhältnisse und eine entschiedene Haltung gegen jede Form von Rassismus verbinden Günter Grass mit dem indischen Schriftsteller Salman Rushdie. Im Zusammenhang mit seinem Roman „Mitternachtskinder“ hatte sich Rushdie zu Günter Grass als seinen Lehrmeister bekannt, der dazu sagt:

So wie ich von Alfred Döblin gelernt habe und darauf bestehe, daß Literatur nicht aus dem Nichts kommt, sondern ihre Väter und Vorväter hat, gibt Rushdie offen zu, und sagt, daß er von der Blechtrommel und von den Hundejahren beeinflußt wurde.[11]

Grass empfindet eine tiefe Solidarität mit dem Dichter, über den im Iran die Todesstrafe infolge seiner Werke verhängt wurde, und begrüßt in dem Gespräch „Das Mittelalter hat uns eingeholt“ (Die Zeit, 10.03.1989) die Haltung vieler Künstler, die für Rushdie Partei ergriffen und sich für die Veröffentlichung seines Buches eingesetzt hatten (Anne Jonas, H. M. Enzensberger) und hält zugleich die Medien dafür verantwortlich, dass sie ihrer Vermittlerrolle in dieser Sache nicht nachgegangen waren. In diesem Gespräch ergreift Grass erneut die Gelegenheit, sich für Toleranz auszusprechen und an viele politisch verfolgte Schriftsteller zu erinnern – vor allem an den in der Tschechoslowakei inhaftierten Schriftsteller Vaclav Havel.

Da am 9. März die geplante öffentliche Lesung aus Rushdies Roman „Mitternachtskinder“ vom damaligen Präsidenten der Akademie der Künste Peter Härtling verweigert wurde, trat Günter Grass nach einer zwanzigjährigen Mitgliedschaft durch einen offenen Brief an Peter Härtling aus der Akademie der Künste aus:

Das über Salman Rushdie verhängte Todesurteil und die Tatsache, daß gegen ihn Mordkommandos auf den Weg geschickt worden sind, ferner die Bedrohung aller Personen, die sein Buch übersetzen, verlegen, verkaufen oder sonst wie fördern, ist zusätzlich als Anschlag auf die Meinungsfreiheit zwar nicht ohne Vergleich, doch in seinen internationalen Auswirkungen beispiellos. Vor allen anderen Berliner Institutionen hätte die Akademie der Künste dieser Herausforderung gegenüber an Ort und Stelle Widerstand bezeugen müssen. Indem sie ihre Räume verweigerte, gibt sie dem terroristischen Druck nach, entledigt sie sich ihrer Verpflichtungen ihrer Vergangenheit gegenüber und nimmt eine Haltung ein, die schlechtes Beispiel gibt.[12]

In einem weiteren offenen Brief an Salman Rushdie (28.01.1992, „die tageszeitung“ Berlin) versichert Grass seinem Freund Rushdie, dass er mit seinen Ängsten und Furcht nicht alleine sei.

Der dritte Jahrestag der über Rushdie verhängten Todesstrafe ist erneuert Anlass für Grass, in einer BBC-Fernsehdiskussion (14.02.1992) sich für politisch verfolgte Künstler, für Toleranz und Meinungsfreiheit auszusprechen, also gegen Ideologien, die zu Terror führen. Er erinnert wieder an Orwells Romane, die den stalinistischen Terror anklagten, ein  Bild der Gesellschaft unter einer Diktatur boten und deswegen ein halbes Jahrhundert lang im kommunistischen Herrschaftsbereich verboten waren.

Ich stelle dieses Beispiel am Anfang meiner Rede, weil der Fall Orwell deutlich macht, inwieweit Intellektuelle zugleich Opfer und Zuträger der Zensur waren und sind, denn dieser Prozeß ist nicht abgeschlossen. Das Ende der kommunistischen Herrschaft hat nunmehr Sieger auf den Plan gerufen, die sich spiegelbildlich zu verhalten beginnen, indem sie die Methoden eines McCarthy aufs neue beleben.[13]

Die Gefährdung der Meinungsfreiheit, der Freiheit der Literatur bewegt Grass immer dazu, dagegen Stellung zu nehmen. Zensur, die zu Schreibverboten, aber auch Verbannung, Exil, Verhaftungen, Verfolgung und Mord geführt hat, ist so alt wie die Literaturgeschichte. Und wieder sind es Schriftsteller und Journalisten, die gegen ihre Kollegen als Zensoren tätig waren, denn „eine gut funktionierende Zensur setzt einen Zensoren voraus, der literarisch gebildet (…) ist“[14]. Doch im faschistischen Deutschland war es nicht nur bei der Zensierung der als gefährdend betrachteten Literatur geblieben, sondern es war bis zur öffentlichen Bücherverbrennungen gekommen, das Geschriebene sollte ungedruckt bleiben und die Autoren zum Verstummen gebracht werden. Die Prosa der Autoren, denen es zu flüchten gelungen war, und die im Exil schrieben, blieb immer fremd. Für Grass ist es fast unverständlich, wie manche Autoren, wie Anna Seghers oder Berthold Brecht, die aus dem Exil zurückgekommen waren, erneut die Eingriffe des Zensors akzeptierten, weil es ihren Auffassungen über den Klassenkampf entsprach.

Die Literatur in der DDR und BRD bilden zusammen einen Schwerpunkt in den Essays und Reden von Grass und geben auch den Titel eines Vortrags auf der Südostasienreise 1979.

In dieser Rede äußert sich Grass zur Entwicklung der deutschen Nachkriegsliteratur bis in die siebziger Jahre. Die Entstehung der Nachkriegsliteratur datiert Grass gleichzeitig mit der Gründung der Gruppe 47, die die Etablierung vieler deutschsprachigen Autoren der Nachkriegsgeneration bewirkt hatte. Nach Grassens Auffassung sind es die Schriftsteller von Ost und West diejenigen, die zur Aufhebung der Grenze zwischen den beiden Ländern beitrugen, durch ihre grenzüberschreitende Literatur, durch ihre Beschäftigung mit der Vergangenheitsbewältigung noch lange nachdem das kein Thema mehr für ihre Staaten war.

Als Beispiel für die grenzüberschreitende Wirkung der deutschsprachigen Literatur nennt Grass die Ostberliner Treffen von DDR- und BRD-Schriftsteller zwischen 1973 bis 1978. Hans Joachim Schädlich, Sarah Kirsch, Kurt Bartsch, Jurek Becker, Thomas Barsch, Klaus Schlesinger, Bernd Jentzsch und Peter Schneider, Nikolas Born, Christoph Buch, Jürgen Theobaldy, Rolf Hauf und Günter Grass lasen einander aus ihren Manuskripten. In dieser Zeitspanne entstanden Grassens „Der Butt“, Borns „Die erdabgewandte Seite der Geschichte“, Schlesingers „Berliner Traum“, Schädlichs „Versuchte Nähe“, und Reiner Kirschs „Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen“. Für Grass und seine Kollegen machten diese Treffen nochmals deutlich, dass Literatur über allen Ideologien stehen muss und sie sich nicht dem Staat unterwerfen darf, und vor allem, dass sie grenzüberschreitend ist. Die Feststellung für die siebziger Jahre war, dass der gesamtdeutsche Dialog nur über Kultur stattfinden würde.

Den Fürsten damals und den Politikern heute fiel oder fällt zur Frage der Nation immer nur kleinstaatlicher Separatismus der größenwahnsinniger Nationalismus ein. Hingegen sind die Schriftsteller, von Logau und Lessing über Herder und Heine bis zu Böll und Biermann stets die besseren Patrioten gewesen. Patrioten und Weltbürger zugleich, die ohne nationales Geschrei oder ängstliche Abgrenzung ihr Vaterland beschworen, in seinen Schichtungen dargestellt, dessen Sprache reich gemacht, es kritisch gesehen, das heißt auf genaue Weise und nicht blindlings geliebt haben. Ihr Ruf nach Einigkeit meinte nicht Machtballung. Ihr Verlangen nach Größe strebte nie Herrschaft an. Ihr Reichtum war die kulturelle Vielfalt der Völker. Dass man nie auf sie gehört hat belegt die deutsche Geschichte und ihren katastrophalen Verlauf.[15]

Auch die zwei deutschen Statten verstehen Kultur nur als Schmuck und Bestätigung. Im westlichen Teil Deutschlands ist das vor allem durch die Art und Weise, in der die Kultur subventioniert wird, ersichtlich. Die DDR reagierte ihrerseits mit Strafmaßnahmen und Ausbürgerungen, sobald die Künstler den Staat in Frage stellten, in der BRD wurden diese bespitzelt oder ignoriert. Die Tatsache, dass sich die Künstler der beiden Staaten der Schuldfrage und der Verarbeitung der deutschen schuldbeladenen Vergangenheit angenommen haben, widersprach dem Wunsch ihrer Staaten nach „positiver“ Kunst. Die Lobsänger in der DDR warfen ihrer Kollegen „Nestbeschmutzung“ vor und bewirkten deren Ausschluss aus dem Schriftstellerverband, in der BRD sorgten sie für die Streichung der „negativen“ Texte aus den Schulbüchern und beschimpften auch ihre Kollegen als „Nestbeschmutzer“. 1972 hatte Grass geschrieben:

Neuerdings wünschen sich die Deutschen ihre Dichter engagiert, aber nicht allzu sehr. (…) Die linientreuen Deutschen in Ost und West mögen ihre Schriftsteller nur, solange sie sich dunkel raunend oder positiv lebensbejahend als Dichter oder Lobredner verstehen; sobald sie deutlich werden und den Stalinismus im Kommunismus, den Nazismus in Springers Massenblättern bezeugen, wird Biermann isoliert und stumm gemacht, wird Heinrich Böll, weil er nicht stumm gemacht werden kann, so lange und so verzweigt der Hetze ausgesetzt, bis seine Nerven (so hofft man) versagen.[16]

In den sechziger Jahren hatte Grass die utopische Idee entwickelt, die Politiker könnten sich Rat bei den Schriftstellern einholen. (Rede am 24.04.1969 in Princeton: „Vom mangelnden Selbstvertrauen der schreibenden Hofnarren unter Berücksichtigung nicht vorhandener Höfe“). Dieser Idee folgend, könne zum Beispiel der Schriftsteller Heinrich Böll den Bundeskanzler Ehrhard dazu bewegen, die DDR anzuerkennen und alle Kapitalisten zu enteignen, oder Peter Weiss den DDR-Staats-präsidenten Walter Ulbricht den Schießbefehl an den Granzen aufzuheben oder sich bei Wolf Biermann zu entschuldigen. Da es aber, mit Ausnahme von Präsident Kennedy oder Willy Brandt nie dazu gekommen war, dass sich Politiker bei den Schriftstellern Rat geholt haben, bliebe den Schriftstellern nichts anders übrig, als sich direkt politisch zu engagieren.

Grass verzichtet bis in die neunziger Jahre nicht auf die Idee, dass sich Politiker von Schriftstellern beraten lassen sollten, und bedauert in einem Interview für „Die Zeit“, 1992, dass sich die Politiker vor der Übernahme der DDR nicht auch mit Schriftstellern beraten hatten.

Ich hätte mir gewünscht, daß verantwortliche Politiker in der Bundesrepublik beim deutschen Vereinigungsprozess, der sehr rasch beschlossen und durchgezogen wurde, doch mal den Rat unter anderem einiger Schriftsteller eingeholt hätten. Gerade aufgrund unserer Arbeit wissen wir genauer als Politiker, daß sich das Leben nicht in Legislaturperioden abspielt, daß vierzig Jahre ein Zeitraum sind, den man weder mit Geld, noch mit neuen Granzen verdecken kann, und dass jeder Politiker, der das ignoriert, dafür bitter bezahlen muss. Dieses Überspringen der Zeit, das heißt auch das Ignorieren der Beschädigungen und Prägungen ist ein Versäumnis, das einem Romancier nie unterliefe.[17]

Dass man in Westdeutschland kein Verständnis für die Entwicklung der vierzigjährigen DDR-Geschichte haben wollte, zeigte sich 1990 an der erbarmungslosen Kritik von Christa Wolfs „Was bleibt“, die für Grass nicht Kritik eines literarischen Werks sondern eine förmliche Hinrichtung der Autorin war. Am 16.17.1990 in einem Interview für die Zeitschrift „Der Spiegel“ versucht Grass die Biographie Christa Wolfs und anderer DDR-Autoren in den sozial-politischen Verstrickungen des kommunistischen Staates zu erklären, erläutert die Bedeutung von Christa Wolfs Werken in der gesamtdeutschen Literatur und greift entschieden Partei für die Autorin. Die Vorwürfe, die die Kritik an Christa Wolfs Werke richtet, gleichen für Grass den Vorwürfen, die pauschal den Schriftstellern der Gruppe 47 von Seiten der damaligen Politiker gemacht worden waren.

Im Interview kommt im Kontext des Vergleichs zwischen Nazidiktatur und dem kommunistischen Regime in der DDR, Grassens Kritik gegen Brechts Haltung während des Arbeiteraufstands 1953 in Berlin vor. Grass hatte anlässlich einer Rede des vierhundertsten Geburtstags von William Shakespeare (1964) Brecht, der sich der Bearbeitung der Tragödie „Coriolan“ von Shakespeare angenommen hatte, vorgehalten, sich nicht aus seiner Position als angesehener Künstler in der DDR direkt für die Arbeiter ausgesprochen zu haben, sondern sich nur für die Bearbeitung des Aufstands zu einem Lehrstück interessiert hätte.

Es kann dem Publikum mit Hilfe der Bearbeitung ein Lehrstück gezeigt werden, innerhalb vorgesehener Grenzen darf sich das Publikum zum Mitdenken aufgefordert sehen; bei allem wird der aufzeigende und zum mitdenken auffordernde Zeigefinger einen relativ ästhetische Fingerhut tragen dürfen, damit die erlebte Dialektik und das Vergnügen an der Tragödie nicht in trockener Schulstubenluft verkümmern müsse.[18]

Brechts Haltung, die Tatsache, dass der Aufstand nicht Grund genug für ihn gewesen war, während des Aufstands die Proben im Theater am Schiffbauerndamm zu unterbrechen, gibt Grass als Grund an, um ein Theaterstück zu schreiben, in dem als Hauptgestalt der Theaterchef Bertholt Brecht zu erkennen sein soll. Grass erzählt in dieser Rede sein noch zu schreibendes Theaterstück. 1966 veröffentlichte er „Die Plebejer proben den Aufstand“, das ihm heftige Kritik einbrachte, und er mit Veröffentlichungsverbot in der DDR belegt wurde.

In vielen seiner essayistischen Schriften und Reden bringt Grass Themen und Motive zum Ausdruck, die er auch in seinen Werken behandelt hat. In einem seiner ersten Essays, „Die Ballerina“, beschreibt er die Künstlerin einer abstrakten, reinen Kunst und deren Tanz. Ballett, Ballettmeister und Ballerina sind auch Kunstform und Künstler, die in den Romanen „Die Blechtrommel“ und „Hundejahre“ vorkommen.  Die Einheit von tätiger Melancholie und Bereitschaft zur Utopie, die der Studienrat Starusch in seinen Gesprächen mit dem Zahnarzt im Roman „Örtlich betäubt“ verkörpert, behandelt Grass in seiner Dürer Rede 1971 als zwei Seiten einer Medaille.

In dem Essay „Heinrich Heine oder Glanz und Elend der europäischen Aufklärung“, 1972, gibt er die aufklärende Funktion von Heines Trommler als Vorbild für Oskars aufklärerisches Trommeln und erzählt wie er Heines nicht beendete Geschichte „Der Rabbi von Bacherach“ hätte zu Ende schreiben wollen, ein Thema, das auch in „Aus dem Tagebuch einer Schnecke“ zu finden ist.

In „Die deutschen Literaturen“ (1979) führt er den Begriff „Kulturnation“ ein, der in „Kopfgeburten“ (1980)  erläutert wird. Wie Schriftsteller „die besseren Patrioten“ wären („Die deutschen Literaturen“), ist das Hauptmotiv in der Novelle „Das Treffen in Telgte“.

In „Literatur und Mythos“ (1981), „Die Vernichtung der Menschheit hat begonnen“ (1982), „Die Zauberlehrlinge“ (1982) und „Mir träumte, ich müsste Abschied nehmen“ (1986) stellt er das Thema zur Debatte, wie der aufgeklärte Mensch durch seine Wissenschaft seine eigene Welt und sein Leben zerstört, was zum Hauptthema des Romans „Die Rättin“ wurde.

In der Rede „Mein Traum von Europa“ (1992) beschäftigt er sich mit der Überbevölkerung  in Asien und mit dem langsamen Einzug von Millionen von asiatischen Flüchtlingen nach Europa, Themen, die er auch im Roman „Unkenrufe“ (1982) behandelt.

Sein Interesse für Spitzel und Spitzeltum kommt zur Sprache im Essay „Tallhover kann nicht sterben“ aus „Zunge zeigen“ und wird auch mit dem Satzbelegt: „Ich würde schon gerne wissen, wie sieht es in einem wirklichen Stasi-Mann aus, der Jahrelang geglaubt hat, den richtigen Dienst getan zu haben.“[19] Auch seine Auseinandersetzung mit Theodor Fontane und dessen Werk findet ihren Ausdruck in „Tallhover kann nicht sterben“, der ewige Spitzel und Fontane in der Gestalt von Fonty werden dann die Hauptgestalten im Roman „Ein weites Feld“.

Außer Motiven und Themen, die er in seinen Werken behandelt, schreibt Grass in seinen Essays auch über die Literatur, die ihn beeinflusst hat, über die Werke von Cervantes, Grimmelshausen, Döblin, Melville, über den Picaro, der von der Komik des Scheiterns leben würde. („Fortsetzung folgt“, „Vom Abenteuer der Aufklärung“).

Nicht nur die Welt seiner Gedanken über Kunst und ihre Rolle in der Gesellschaft, über Kunst und Politik oder über Schriftsteller eröffnet Grass seinem Publikum über seine Essays, sondern er gewährt auch einen Einblick in seine Arbeitsweise und begründet seine Künstlerexistenz. „Ich liebe meinen Beruf. Er verschafft mit Gesellschaft, die vielstimmig zu Wort kommt und möglichst wortgetreu ins Manuskript finden will.“[20]

Er schreibt über den Entstehungsprozess seiner Gedichte und Dramen, über die Entstehung seiner Zeichnungen, Graphiken und seiner Plastiken. In „Bilder können die Welt nicht verbessern“ schreibt Grass:

Da ich nie unter meinem Doppelberuf gelitten habe, auch, trotz vieler Aufforderungen, nicht bereit gewesen bin, den einen oder den anderen Beruf aufzugeben, zeichne und schreibe ich alternierend; einzig das Gedichteschreiben und das Zeichnen bildhaft – gegenständlicher Wirklichkeit schleißen einander nicht aus, sind vielmehr gleichzeitig möglich und notwendig.[21]

In mehreren Aufsätzen erklärt Grass, wie ihn das Konzentrieren auf einen Gegenstand, den er zeichnen will, und die Zeichnung oder Graphik, die daraus entstehen, sich mit Worten ergänzen, und wie das dann zu einem Prosawerk führt. So war es zum Beispiel mit der Hand, die einen Kiel hält und aus dem Steingeröll ragt, mit dem Butt („Bin ich Schreiber oder Zeichner“, „Die Disziplin wechseln beim Gegenstand bleiben“) oder den beiden Figuren von Fonty und seinem Dauerbegleiter Hoftaller („Die Disziplin wechseln beim Gegenstand bleiben“). Grass sagt über seine Zeichnungen, dass sie nicht Illustrationen dessen wären, was er schreibt, sondern Stufen im Entstehungsprozess eines Prosawerks. Mehr noch, seine Manuskripte schreibt er mit Möwenfedern und Gänsekiele, mit denen er auch zeichnet.

Gedichte haben während der Arbeit an Romanen eine ähnliche Rolle wie Zeichnungen. Gemeinsam haben für Grass das Gedicht und die Zeichnung das Weglassen.

Manchmal ist eine Bleistiftzeichnung, aus der heraus sich die ersten Zeilen für ein Gedicht, einen ersten Vers entwickeln, oder umgekehrt, in einen Gedichtentwurf hinein entsteh die Zeichnung. Oft aber entstehen gleichzeitig. Es fängt zeichnerisch an, dann kommt der Text, und dann setzt sich die Zeichnung an einigen Stellen wieder fort. Es wird auf jenen Fall zu einem graphischen Blatt.[22]

Seine im Arbeitsprozess eingebundenen Zeichnungen gibt er als den Grund für die Anschaulichkeit seiner Texte an. Die Figuren und Situationen, die er zeichnet, verhelfen ihm zu dieser Bildhaftigkeit, helfen ihm, die Handlung von außen her zu betrachten. („Vom Abenteuer der Aufklärung“).  Dem Zeichnen, Malen, der Bildhauerei wendet sich Grass auch in den Phasen, in denen er nicht schreibt, da er befürchtet, wenn er nur bei einer Kunst bliebe, dass dies zum Manierismus führen würde.

Im Essay „Doppelter Max“ beschreibt Grass, wie er Max Frisch aber auch andere Schriftsteller, zum Beispiel Uwe Johnson, gezeichnet hat. Zu den Künstlern und Bildhauern, denen Grass in seinen Schriften gedenkt, zählen Otto Pankok, Franz Witte, Sepp Manges oder Karl Hartung („Otto Pankok“) oder sein Freund, der Bildhauer Ludwig Gabriel Schreiber, der dann auch im Roman „Der Butt“ in den Lud-Gestalten portraitiert wird.  In „Hingucken und Aufzeichnen“ beschreibt Grass die Entstehung des Bandes „Zunge zeigen“, der Reiseimpressionen während seiner Indienreise, und warum die Notizen über seine Impressionen und der Gedichtzyklus mit Zeichnungen ergänzt werde sollte: Um die Reaktion vor der Welt des Schmutzes, der Gewalt und des Todes – die tiefe Scham – zum Ausdruck zu bringen.  

In der Frankfurter Poetik-Vorlesung „Schreiben nach Auschwitz“ (1990) skizziert er seine künstlerische Laufbahn. Ausgehend von dem Gebot Adornos aus „Minima Moralia“, das besagt, es sei barbarisch nach Auschwitz noch ein Gedicht zu schreiben, erklärt Grass die Notwendigkeit und den Stil der Kunst nach 1945. Er berichtet über die Literatur, die ihn beeinflusst hat – Döblin, Dos Passos, Trakl, Apollinaire, Albert Camus, über seine Ausbildung als Bildhauer, über seine Faszination vom Bild, vom Gegenständlichen, die in seiner Kunst wieder zu erkennen ist, er erzählt wie ihn zuerst Paul Schallück und Walter Höllerer während der Arbeit beim Roman „Die Blechtrommel“ ermutigt haben, und dann Paul Celan vor allem bei der Arbeit am Roman „Hundejahre“.

Ich verdanke Paul Celan viel: Anregung, Widerspruch, den Begriff von Einsamkeit, aber auch die Erkenntnis, daß Auschwitz kein Ende hat. Seine Hilfe kam nie direkt, sondern verschenkte sich in Nebensätzen, etwa auf Spaziergängen in Parkanlagen. Mehr als auf die ‚Blechtrommel’ hat sich Paul Celans Zuspruch und Dreinreden auf den Roman ‚Hundejahre’ ausgewirkt (…).[23]

In dieser Vorlesung erklärt Grass, wie im Zusammenhang mit der schuldbeladenen Vergangenheit Deutschlands, die immer ihre Schatten auf die Gegenwart und Zukunft wirft, der Begriff „Vergegenkunft“ entstanden ist, oder wie es im Zusammenhang mit seiner politischen Arbeit zur Metapher vom „Stillstand im Fortschritt“ gekommen war, welche Beziehung es zwischen seinem künstlerischen Schaffen und seiner politischen Arbeit gibt. Und, dass „etwas, das nicht zu Wort kam, gesagt werden [muss] (…) So wird  meine Rede zwar ihren Punkt finden müssen, doch dem Schreiben nach Auschwitz kann kein Ende versprochen werden, es sei denn, das Menschengeschlecht gäbe sich auf.“[24]

Danach schrieb Grass noch die Romane „Ein weites Feld“ und „Mein Jahrhundert“ und die Novelle „Im Krebsgang“.

In der Rede anlässlich der Verleihung der Nobelpreises 1999, „Fortsetzung folgt“, greift Grass die Hauptthemen und Motive aus seinen literarischen Werken  und seinen Essays auf, er spricht über seinen Beruf und über die Rolle der Literatur, der Kunst und des Künstlers in der Gesellschaft, über die Beziehung von Literatur und Politik oder von Literatur zu verschiedenen Ideologien. Er spricht auch über die Entstehung der Literatur, – „Von Anfang an wurde erzählt. Lange bevor sich das Menschengeschlecht im Schreien übte, erzählte jeder jedem, und jeder hörte dem anderen zu.“[25] – und über Literaturgeschichte, und wie die Entwicklung der Literatur die Entwicklung und Verfeinerung der Zensurmethoden mit sich gebracht hat.

Ein politisches Thema, das über Jahrzehnte Grassens Kunst begleitet hat, der große Unterschied zwischen Reichtum und Armut, Hunger und Not, zwischen Überfluss und Mangel, der Flüchtlingsströme in Bewegung setzt, ist noch immer aktuell, und das ist für Grass Anlass, seine künstlerische Tätigkeit nicht aufzugeben:

Dieses Thema ist uns geblieben. (…). Davon wird in Zukunft zu erzählen sein. Schließlich muß unser aller Roman fortgesetzt werden. Und selbst wenn eines Tages nicht mehr geschrieben und gedruckt werden darf, wenn Bücher als Überlebensmittel nicht mehr zu haben sind, wird es Erzähler geben, die uns von Mund zu Ohr beatmen, indem sie die alten Geschichten aufs neue zu Fäden spinnen: laut, leise, hechelnd und verzögert, manchmal dem Lachen, manchmal dem Weinen nahe. [26]

 

Literatur: 

Primärliteratur:

1.        Grass, Günter:  Der Autor als fragwürdiger Zeuge, Steidl, Göttingen 1997

2.       Ders.: Die Deutschen und ihre Dichter, dtv, München, 1999

3.       Ders.: Der Schriftsteller als Zeitgenosse, dtv, München, 1999

4.       Ders.: Fortsetzung Folgt; Literatur und Geschichte, Steidl, Göttingen, 1999

5.        Ders.: Das Rundschreiben der Claire Goll, Van Gruting, Looyeland, (NL) 2002

6.       Grass, Günter, H. Zimmermann: Vom Abenteuer der Aufklärung, Werkstattgespräche, Steidl, Göttingen 1999

7.        Grass, Günter: Die Blechtrommel, Luchterhand, Darmstadt 1978

8.       Grass, Günter:  Katz und Maus, Luchterhand, Darmstadt, 1984

9.       Grass, Günter: Hundejahre, Luchterhand, Berlin, 1963

10.     Ders.: Örtlich betäubt, Werkausgabe in 10 Bänden, Band IV, Luchterhand, Berlin 1987

11.      Ders.: Aus dem Tagebuch einer Schnecke, Werkausgabe in 10 Bänder, Band IV, Luchterhand, Berlin 1987

12.     Ders.: Der Butt; Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt am Main 1979

13.     Ders.: Das Treffen in Telgte, dtv, München 1997

14.     Ders.: Kopfgeburten oder die Deutschen sterben aus, Werkausgabe in 10 Bänden, Band VI, Luchterhand, Berlin 1987

15.     Ders.: Die Rättin, dtv, München, 1999

16.     Ders.: Unkenrufe, dtv, München 1999

17.     Ders.: Ein weites Feld, dtv, München 1999

18.     Ders.: Mein Jahrhundert, Steidl, Göttingen 2000

19.     Ders.: Fünf Jahrzehnte, ein Werkstattbericht, Steidl, Göttingen 2001

20.    Ders.: Im Krebsgang, Steidl, Göttingen 2002

Sekundärliteratur:

1.        Arnold, Heinz Ludwig (Hg): Die Gruppe 47; Ein kritischer Grundriss, Edition Text und Kritik, München, 1987

2.       Cepl-Kaufmann, G: Günter Grass. Eine Analyse des Gesamtwerks unter dem Aspekt von Literatur und Politik. Kronberg / Ts. 1975

3.       Füssel, St.: Günter Grass. Das Treffen in Telgte. Erläuterungen und Dokumente. Reclam, Stuttgart 1999

4.       Görtz, F.J.: “Die Blechtrommel” Attraktion und Ärgernis. Ein Kapitel deutscher Literaturkritik. Darmstadt, Neuwied 1984

5.        Goetze, A.: Pression und Deformation. Zehn Thesen zum Roman “Hundejahre” von Günter Graß (sic!). Göttingen 1972

6.       Herd, E.V.: Blechtrommel und Indische Flöte. Günter Grass’ Einfluss auf Salman Rushdie. In: Zeitgenossenschaft. Zur deutschsprachigen Literatur im 20. Jahrhundert. Festschrift für Egon Schwarz  zum 65. Geburtstag. Hg. v. P.M. Lützler. Frankfurt a. M. 1987.

7.        Neuhaus, V.: Günter Grass. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Metzler, Stuttgart, Weimar  1992

8.       Osinski, J.Aspekte der Fontane-Rezeption bei Günter Grass in Fontane-Blätter 62 (1996), S. 112-196

9.       Rothenberg, J.: Günter Grass. Das Chaos in verbesserter Ausführung. Geschichte als Thema und Aufgabe des Prosawerks.

10.     Scherf, R.: Günter Grass. “Die Rättin” und der Tod der Literatur. In: Wirkendes Wort. 1987

11.      Schwarz, W.J.: Der Erzähler Günter Grass. Bern - München 1969

12.     Stahlbaum, K.: Kunst und Künstlerexistenz im Frühwerk von Günter Grass. Köln 1989


 

[1] “Schreiben nach Auschwitz“, in: „Der Schriftsteller als fragwürdiger Zeuge“, S. 221. (Siehe  nähere Angaben zur zitierten Literatur am Ende des vorliegenden Aufsatzes.)

[2] Literatur und Politik, in: „Der Schriftsteller als Fragwürdiger Zeuge“, S. 77.

[3] „Literatur und Revolution oder des Idyllikers schnaubendes Steckenpferd“, in: Der Schriftsteller als Zeitgenosse, S. 65.

[4] Ebd., S. 66.

[5] Ebd., S. 69.

[6] „Heinrich Heine oder Glanz und Elend der europäischen Aufklärung“, in: „Die Deutschen und ihre Dichter“, S. 144.

[7] „Als Schriftsteller auch Zeitzeuge“, in: „Der Schriftsteller als Zeitgenosse“, S. 225.

[8] „Distanz, heftige Nähe Fremd werden und Fremd bleiben“, in: „Die Deutschen und ihre Dichter“, S. 286.

[9] Ebd., S. 295.

[10] Ebd., S. 290.

[11] „Das Mittelalter hat uns eingeholt“, in: „Die Deutschen und ihre Dichter“, S. 251.

[12] „Geschichtliche Last als politische Verpflichtung“, in: „Die Deutschen und ihre Dichter“, S. 262.

[13] „Gegen die Hohenprieseter der Eindeutigkeit“, in: „Die Deutschen und ihre Dichter“, S. 314.

[14] Ebd., S. 315.

[15] “Die Deutschen Literaturen“, in: „Der Schriftsteller als Zeitgenosse“, S. 171/172.

[16] „Die Deutschen und ihre Dichter“, in: „Die Deutschen und ihre Dichter“, S.  149.

[17] „Es gibt sie längst die neue Mauer“, in: „Der Schriftsteller als Zeitgenosse“, S. 252.

[18] “Vor- und Nachgeschichte der Tragödie des Coriolanus von Livius und Plutarch über Shakespeare bis zu Brecht und mir“, in: die „Deutschen und ihre Dichter“, S. 56.

[19] „Es gibt sie lägst, die neue Mauer“, in: „Der Schriftsteller als Zeitgenosse“, S. 259.

[20] “Fortsetzung folgt“, S. 15.

[21] “Bilder können die Welt nicht verbessern“, in: „Der Autor als fragwürdiger Zeuge“, S. 99.

[22] „Die Disziplin wechseln, beim Gegenstand bleiben“, in: „Der Autor als fragwürdige Zeuge“, S. 294.

[23] „Schreiben Nach Auschwitz“, in: „Der Autor als fragwürdiger Zeuge“, S. 212.

[24] Ebd., S. 222.

[25] “Fortsetzung folgt“, S. 15.

[26] „Fortsetzung Folgt“, S. 50.

 

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