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DIE GROTESKE PERSPEKTIVIERUNG

Zur makabren Poesie Rainer Maria Rilkes

Zoltán Szendi

1. Apokalypse

Für das breitere Leserpublikum gilt Rilke wohl als einer der letzten Vertreter der Schönheitspoesie in der Wendezeit des 19. zum 20. Jahrhundert. Die beinahe kultische Pflege der ästhetischen Erlebnisse, die sowohl von der kosmischen Faszination durch die unendliche Natur als auch durch vom Menschen geschaffene Kunstgegenstände, etwa der Architektur, hervorgerufen werden, stellt unbestritten den größeren Teil im lyrischen Werk Rilkes dar. Das Unheimliche, das Grauen Hervorrufende spielt in seiner Poesie aber auch eine wichtige Rolle. Es erscheint bei Rilke nicht programmatisch, wie etwa bei den Naturalisten, sondern organisch. Die Vergegenwärtigung des Hässlichen wird nämlich nicht zum ästhetischen Programm erhoben, sondern als notwendige Erfahrung literarisch bearbeitet. Es soll dahingestellt bleiben, welche psychologischen Motivationen hinter der Schreckensmetaphorik stehen, weil die tiefgehende Einsicht in die beklemmenden Bereiche der menschlichen Existenz genauso poetisch verallgemeinernd artikuliert wird wie der ausnehmende Zustand der Schönheitsbezauberung.

Schon in Das Buch der Bilder finden wir Gedichte, die die Angst der menschlichen Seele objektivieren. So wird zum Beispiel in Bangnis die Furcht vor der Verwesung auf ein beinahe expressionistisch anmutendes Landschaftsbild projiziert. „Im welken Walde“ scheint zwar der Vogelruf „sinnlos“ zu sein, jedoch löst sich die ganze Gegend in diesem Klagelaut auf:

Gefügig räumt sich alles in den Schrei:

Das ganze Land scheint lautlos drin zu liegen […][1]

Nicht einmal die Religion kann hier mehr das beängstigende Gefühl durch jenseitige Hoffnung verscheuchen. Davon zeugt zumindest Das jüngste Gericht (1899), das die traditionellen Visionen von der Auferstehung radikal umdeutet. Der lange Text, der mit seinem Untertitel „Aus den Blättern eines Mönchs“ auf die lyrischen Situationen und die Rolle des Mönches im Stundenbuch zurückweist, setzt die größte Botschaft der christlichen Religion auf blasphemische Weise in eine verkehrte Perspektive der Hoffnungslosigkeit.

Diese jede transzendentale Zuversicht zerstörende Horizontgestaltung der Text-struktur wird auch durch die Rahmen bildenden Anfangs- und Abschlussverse betont:

Sie werden Alle wie aus einem Bade

aus ihren mürben Grüften auferstehn;

denn alle glauben an das Wiedersehn,

und furchtbar ist ihr Glauben, ohne Gnade.

[…]

denn: wehe, sie werden auferstehn.

So ist ihr Glauben: groß und ohne Gnade.

Sowohl in den Auftakt- als auch den Schlusszeilen ruft der schockierende Widerspruch eine   außergewöhnliche Spannung hervor, der zwischen der - kausal bedingten - Gewissheit von der Auferstehung und ihren furchtbaren Folgen besteht. Denn das grotesk Befremdende ist in dieser Gotteslästerung, dass die religiöse Vorstellung von der Verjüngung zwar angenommen, zugleich aber als Schicksalsschlag  gezeigt wird. 

Das ganze monumentale Bild vom letzten Gericht wird aus einer Quasi-Dialog-Situation perspektiviert, in der das lyrische Ich Gott anspricht. Die unmittelbare Hinwendung an Gott, der als „Allschauender“ angesprochen wird, wiederholt sich kontinuierlich im ganzen Text und zeugt zwar vom  Gebetscharakter der Redeform, die Redeweise selbst zeigt aber deutlich die widerspruchsvolle Haltung Gott gegenüber. Ähnlich wie im Stundenbuch werden nämlich auch hier die unterschiedlichen menschlichen Verhaltensweisen zu Gott repräsentiert. Die breite Skala der augenscheinlich nahen Beziehung können wir letztendlich auf zwei Grundpositionen zurückführen: auf die Anerkennung des höchsten Wesens und die Auflehnung dagegen.

Der Textanfang, der die Gnadenlosigkeit des Glaubens an die Auferstehung summiert und damit die furchtbaren Bilder der gewaltigen Vision schon vorwegnimmt, fällt mit dieser kühnen Negation auf. Die kategorischen Aussagen werden aus einer neutralen und distanzierenden Position formuliert, so klingen sie hart und teilnahmslos. Die Zeitform Futur betont die Gewissheit des kommenden ungeheuren Ereignisses. In der zweiten Strophe wechselt die Perspektive sowohl der Situation als auch der Redeform. Die Zukunftsvision wird plötzlich, ohne jeglichen Übergang, im Präsens als mögliche irrtümliche Meinung vergegenwärtigt, als finde das Jüngste Gericht schon statt. Gleichzeitig wird die Diktion der dritten Person in eine vertrauliche Anredeform verwandelt. Diese Unmittelbarkeit stellt sowohl im Ton als auch in der Textsemantik eine regelrechte Provokation dar. Die anmaßende Zurechtweisung („Sprich leise, Gott!“) und die besorgte Annahme, dass für die Posaune des Gottesreiches „keine Tiefe tief“ sei, dass es also kein Entrinnen vor dieser Auferstehung gebe, leitet die Schreckensbilder ein, die sogar die Glaubensstärksten entmutigen können.

Diese herausfordernde Zutraulichkeit entlarvt sich jedoch selbst als Kompensation der Hilflosigkeit dem Allmächtigen gegenüber. Die bis zur Aggression anwachsende Selbstsicherheit wird nämlich durch Verunsicherungssignale unterminiert, die den laufenden Text der Beschreibungen immer wieder unterbrechen und ihn aus einer Oppositionsperspektive demontieren. Diese sich selbst in Frage stellende Redeposition, die zum wichtigsten Manöver der Textdialektik gehört, fängt schon in der zweiten Strophe mit der Konditionalform an, die alle Hic et nunc-Aussagen der Verseinheit über die Apokalypse als Quasiereignisse qualifiziert: „Es könnte einer meinen“. Eine weitere Form der Doppelperspektive ist der Zeitwechsel vom Präsens zum Futur, der das gerade – wenn auch irreal – als Gegenwart Erlebte wieder in die Zukunft rückt: „Das wird ein wunderliches Wiederkehren / in eine wunderliche Heimat sein“.

Diese doppelbödige Strategie macht die Andeutung der Bildvorlage noch deutlicher, in der die möglichen Quellen, die inspirierenden Werke aus der bildenden Kunst, zwar verschleiert bleiben, der Hinweis auf die künstlerische Bearbeitung des biblischen Themas vom Jüngsten Gericht die ganze Vision aber in eine völlig skurrile Perspektive setzt. Dadurch nämlich, dass das lyrische Ich sich auf das eigene „wilde Bild“ bezieht, das in ihm selbst entstand, nimmt es gewissermaßen die schauderhaften Ereignisse des Jüngsten Gerichtes vorweg: „Allschauender, du kennst das wilde Bild, / das ich in meinem Dunkel zitternd dichte“ – so bescheiden und sich erniedrigend lauten die ersten Zeilen der dritten Strophe, was im krassen Gegensatz zu dem selbstsicheren Ton der furchtbaren Vision steht. Trotz der Anerkennung der göttlichen Größe – „Durch dich kommt Alles, denn du bist das Tor, – / und Alles war in deinem Angesichte, / eh es in unserm sich verlor“ – wird ihre Allmacht durch das Selbstbewusstsein des lyrischen Ich, das sich als Mitwissenden zeigt, deutlich geschwächt. Am besten geht dies aus der siebten Texteinheit hervor, in der sich das Ich neben dem Schöpfer als kritischer Zeuge der Erfüllung der biblischen Prophezeiung hochstilisiert: „vielleicht gelingt es dir noch auszuweichen / dem großen Schweigen, das wir beide sahen.“

Diese Rolle des alles bezweifelnden Geistes, der sogar das Fiasko des Jüngsten Gerichtes voraussagt bzw. in der imaginären lyrischen Situation miterlebt, ermöglicht dem Ich, sich auch mit den quälendsten Fragen zu konfrontieren. Der ständige Rollen- bzw. Tonwechsel zeugt von der Ambivalenz sowohl der Existenz Gottes als auch seiner Gerechtigkeit gegenüber. Die beiden hängen ja logisch zusammen: wenn es keine göttliche Gerechtigkeit gibt, dann ist eigentlich auch die Existenz Gottes in Frage zu stellen. Denn ein ungerechter Gott ist an sich eine Contradictio in adjecto. Die oszillierenden Aussagepositionen sind voller Zweifel: sie schwingen zwischen Glaubenswillen und Gotteslästerung, zwischen Ahnung von einem höheren Wesen und der Enttäuschung angesichts der metaphysischen Leere.

Das Bild, das das Ich in seinem „Dunkel zitternd“ entwirft, übersteigt alle künstlerischen Vorlagen, nicht in blutigen Szenen, denn sie würden ja noch zum  menschlichen Leben gehören, sondern in der grotesken Verzerrung der Grausamkeit. Die poetischen Phantasiebilder zeigen eine gespensterhafte Welt, in der sich alles bewegt, ohne lebendig zu sein:

 Ein Rascheln ist und ein Zusammenraffen

 in allen den geborstenen Gebäuden,

 ein Sichentgelten und ein Sichvergeuden,

 ein Sichbegatten und ein Sichbegaffen,

 und ein Betasten aller alten Freuden

 und aller Lüste welke Wiederkehr.

Die entleerte Sinnlichkeit kehrt alle Lebensfreuden in ihre Gegensätze um. Am furchtbarsten ist jedoch der entfleischte Körper, der aber noch kein Skelett ist, sondern eine Mischbildung von beweglichen und zugleich toten Elementen. Da gibt es auch solche Horroranblicke, die nicht einmal die moderne Filmkunst mit ihren Kunsteffekten präsentieren kann:      

So ringen sie, die lange Ausgeruhten,

und packen sich mit ihren nackten Zähnen

und werden bange, weil sie nicht mehr bluten

und suchen, wo die Augenbecher gähnen,

mit kalten Fingern nach den toten Tränen.

Das grotesk Furchtbare steckt in dieser Vision vor allem in der Uneigentlichkeit, wie die wieder Lebendigen versuchen, ihre Auferstehung zu erfahren. Im krassen Gegensatz zu der religiösen Überzeugung nämlich, nach der auf diejenigen, die die Prüfung bestanden haben, zusammen mit ihren Liebsten in einem glücklichen Sichwiederfinden die paradiesische Seligkeit wartet, herrscht hier unter den Auferstandenen höllische Angst, die sich in „dem großen Schrein“ erweist, bald aber in „das übergroße fürchterliche Schweigen“ übergeht. Die geniale Metaphorik, mit der die Fragwürdigkeit der irdischen Hoffnung auf die Auferstehung verdeutlicht wird, enthält auch schon diabolische Züge, die an Höllenbilder Dantes erinnern. Hinter diesen grotesken Motiven können wir deshalb den bitteren Hohn der Verzweiflung erahnen. Mit erbarmungsloser Konsequenz drängen die unheimlichen Bilder in das verschlossene Terrain der menschlichen Seele, um auch das Unbegreifliche zu erhellen und das Unaussprechbare zu artikulieren.

Die heiligsten Illusionen werden durch diese dichterische Zersetzung schonungslos verletzt und vernichtet. So bedeutet z. B. das Licht für die Wartenden in den folgenden Zeilen kein neues Leben, das vom Tode endgültig befreit, sondern einen grausamen Betrug, der den Auferstandenen nur Unheil bringt:   

Sie sitzen alle wie vor schwarzen Türen

in einem Licht, das sie, wie mit Geschwüren,

mit vielen grellen Flecken übersät.

 Die unmittelbare Fortsetzung des Textes zeigt auch eine der typischen Verfahrensweisen der Rilkeschen Poesie, die empirische Konkretisierung der abstrakten Begriffe:

Und Nächte fallen dann in großen Stücken

auf ihre Hände und auf ihren Rücken,

der wankend sich mit schwarzer Last belädt.

Dieser Kunstgriff hat hier sogar einen Doppeleffekt. Darüber hinaus, dass die Nacht die Wiederkehr des Todes versinnbildlicht, macht die Verdinglichung die Qualen auch physisch wahrnehmbar.

Parallel zur Entlarvung des grausamen „Wiederlebens“ wird der allmächtige Herr immer wieder angesprochen. Diese doppelbödige Kommunikationsebene ermöglicht es, das widerspruchsvolle Verhältnis zu Gott in vollem Maße darzulegen. Zunächst werden anmaßende Fragen gestellt: „Allschauender, gedenkst du dieses bleichen / und bangen Bildes“, „Hast du nicht Angst vor dieser stummen Stadt“, „wie hoffst du diesen Tag zu tragen“? (298). Dann versucht das lyrische Ich, den Gott zur Begünstigung, zu einer ‚Sonderregelung’ zu überreden, bzw. Mitleid zu erwecken: „Vielleicht kannst du noch einen aus uns heben, / der diesem fürchterlichen Wiederleben / den Sinn, die Sehnsucht und die Seele nimmt“. Schließlich mildert sich der anklagende Ton zum persönlichen Bekenntnis. „Allschauender, sieh, wie mir bange ist, / miß meine Qual!“ (299) Aber nicht einmal in dieser Situation kann oder will sich das rebellierende Ich völlig verleugnen: Die Anerkennung seiner Angst und Not macht den „Allschauenden“ doch nicht größer, er wird auch jetzt noch als „hülflos“ bezeichnet. Und dadurch, dass das lyrische Ich seinen Herrn in der Angst als Verwandten erkennt („weil meine Angst vor dem großen Gericht / deiner gleicht“) wird der Anspruch auf Ebenbürtigkeit wieder ausgesprochen. Sogar viel mehr, der skurill-paradoxe Gedanke eines Bündnisses wird hier formuliert, das eine Art Schicksalsgemeinschaft anbietet, um zusammen dem unausweichlichen Verhängnis zu trotzen: „will ich mich dicht / Gesicht bei Gesicht / an dich heften; mit einigen Kräften / werden wir wehren dem großen Rade, / über welches die mächtigen Wasser gehn“.

Dieses Textende bestimmt die Gesamtperspektive des Gedichtes, die die Gewissheit des Alten Testaments auf blasphemische Weise umkehrt, indem das lyrische Ich die Erneuerung des Bundes zwischen ihm und Gott initiiert, damit sie sich in ihrer gemeinsamen Angst stärken können. Die völlige Dominanz der Groteske enthält keine befreiende Komik; sie wirkt vielmehr beunruhigend. Jedoch: die unheimliche Vision zeugt auch von einem gewaltigen Ringen um die Geheimnisse der Transzendenz. In den grauenhaften Bildern sind alle Angst- und Zwangsvorstellungen vorhanden, die das Ich quälen und es zu einer fast übermenschlichen Auseinandersetzung mit Gott zwingen. Im Abschlussteil entfalten sich alle widerspruchsvollen Aspekte der Mensch-Gott-Beziehung zu einer Schicksalsgemeinschaft, in der die intellektuelle Einsicht oder Phantasie das mit dem Gottesbild ringende Ich erhöht und Gott die metaphysische Größe der Allmacht nimmt.

Ja, Gott ist sogar „lange vergangen“ und „entflohn“, also in gewisser Weise, wie Nietzsche sagt, ‚tot’, hat sich zumindest von den Menschen zurückgezogen. Das Ich nimmt quasi seine Stelle ein, ermöglicht ihm aber damit auch ein Weiterwirken. Diese Identifikation des Ich mit Gott, die Selbstvergöttlichung des Subjekts, erinnert noch an christlich-mystisches Denken; wenn die gemeinsame Aufgabe „mit einigen Kräften“ aber darin bestehen soll, „dem großen Rade“ zu „wehren“, dann wird die christliche Auferstehung mit der unchristlichen ‚Wiederkehr des Gleichen’, mit dem großen ‚Welt-Rad’ gleichgesetzt, wie es ebenfalls Nietzsche beschrieb: „Alles geht, alles kommt zurück; ewig rollt das Rad des Seins.“[2] Der blasphemische Kern des Gedichtes liegt also darin, dass das Jüngste Gericht nicht das glückliche Ende der Zeit bedeutet, sondern die grauenvolle Wiederkehr des Vergangenen bringt.

Bei der Entthronung Gottes spielt auch die Intermedialität eine wichtige Rolle, denn sie öffnet neue konnotative Bedeutungsebenen. Die Bilder nämlich, die das Rilke-Gedicht heraufbeschwört und die auch die apokalyptischen Visionen der alten Maler zeigen, können zwar die Schreckensbilder des Jüngsten Gerichtes plausibel darstellen, was aber diese Gemälde kaum oder nur vermittelt ausdrücken können, das ist die suggestiv reflektierte Stellungnahme des Künstlers zu Gott und zu dem eigenen Entwurf über ihn und seine Schöpfung.

Den selben Titel – Das Jüngste Gericht – trägt auch das Gedicht, das acht Jahre später (1907) in Paris entstanden ist. Im Vergleich zu dem früheren Text fällt bei der zweiten Bearbeitung der apokalyptischen Vision nicht nur die lapidare Kürze, sondern auch die enigmatische Verzerrung in der Metaphorik auf. Während die grotesken Bilder in der ersten Variante noch zugänglicher sind, dadurch nämlich, dass ihre Transponierung ins Schauderhafte die Textpragmatik nicht vollkommen zerstört, stellen die Schreckensbilder  in der zweiten Version eine vollkommen absurde Welt dar, in der die Geschehnisse mit der herkömmlichen Diesseits-Kausalität nicht mehr erklärbar sind. Nur die Ausgangspositionen sind in den beiden Texten gemeinsam: die elementare, beinahe animalische Angst, welche die Auferstandenen erfüllt und sie an ihre Begräbnisstätte fesselt.

So erschrocken, wie sie nie erschraken,

ohne Ordnung, oft durchlocht und locker,

hocken sie in dem geborstnen Ocker

ihres Ackers, nicht von ihren Laken

 

abzubringen, die sie liebgewannen.

Die Häufungen des knirschend-grellen Konsonanten „k“ in der ersten Strophe erzeugt schon rein akustisch eine unheimliche und unauflösbare Dissonanz, die die Welt dieser schwer bestimmbaren Wesen charakterisiert. Die Engel-Figuren, die auch in dem früheren Gedicht eine wichtige Rolle spielen, indem sie den Allmächtigen „wie lauter Fragen ­­[...] umdrängen“, erscheinen hier – anscheinend – in ihrer traditionellen Funktion: als Helfer und Vermittler zwischen der irdischen und der göttlichen Welt. Ihre groteske Ereiferung entpuppt sich aber als sklavenhafte Bedienung der unerforschbaren Willkür:

Aber Engel kommen an, um Öle

einzuträufeln in die trocknen Pfannen

und um jedem in die Achselhöhle

 

das zu legen, was er in dem Lärme

damals seines Lebens nicht entweihte;

denn dort hat es noch ein wenig Wärme,

 

daß es nicht des Herren Hand erkälte

oben, wenn er es aus jeder Seite

leise greift, zu fühlen, ob es gälte.

Trotz der wahnwitzigen Bilderreihe, die die Bewegungsgesten veranschaulichen, schimmert hinter der abstrusen Metaphorik eine höchst fragwürdige, aber deutbare Sinnkonstruktion durch, die die traditionelle Gott-Mensch-Beziehung rundweg zerstört, indem sie ihr alle christlich-humanen Züge nimmt und in ihr die gemeine Manipulation der Machthierarchie sehen lässt. Im krassen Gegensatz zu der religiösen Auffassung, nach der sich Gott seiner Schöpfung mit fürsorglicher Güte zuwendet, erscheint er in dieser Textwelt als ein verwöhnter Herrscher, dessen Gunst seine Untertanen suchen. Die Hand des Allmächtigen soll warm gehalten werden – durch diese Gestensymbolik wird nicht nur die Verwöhnung des Herrn sondern auch der Betrug der Unterwürfigen entlarvt. In der Achselhöhle der Auferstandenen findet der Gott nämlich nicht nur Wärme, sondern das einzig Positive, was der Mensch „in dem Lärme / damals seines Lebens nicht entweihte“. Diese Irreführung des Schöpfers durch die einseitige Vorstellung seiner irdischen Diener zeigt einen Anthropomorphismus bei der Darstellung Gottes und seiner Beziehung zum Menschen. In der Rilkeschen Deutung darf der Allmächtige nicht erfahren, dass das menschliche Wesen weit entrückt von seinem göttlichen Ebenbild ist. Was der Herr fühlen und wovon er erfahren will, „ob es gälte“, ist wahrscheinlich der alte Bund, der trotz der Erneuerung fortwährend verletzt wird. Das Öl bzw. das Einölen, das auch im christlichen Ritual eine wichtige Rolle spielt, ist hier nicht nur Weihmittel, sondern auch Metapher der Einschmierung der Machtmaschinerie, damit sie reibungslos funktioniert.[3] Infolge der grotesken Perspektivierung, zu deren Wesen die anthropomorphe Hierarchie der überirdischen Welt gehört, wird die Allmacht des Herrn in Frage gestellt. Gegenüber der christlich-theologischen Auffassung ist der Überblick Gottes über seine eigene Schöpfung hier genau so begrenzt wie seine göttliche Liebe, von der die sterblichen Wesen nichts erfahren können.

Das heuristische Element in dem ebenfalls 1907 entstandenen Gedicht Die Versuchung besteht in der Annahme, dass die qualvolle Probe, der der Mensch ausgesetzt wird, nicht unmittelbar seiner Läuterung dient, sondern der Herauskristallisierung eines klaren Gottesbildes, im Text eigentlich von Gott selbst. Die Frage bleibt allerdings offen, ob der so erschienene Gott eine Projektion der gequälten Seele oder das Ergebnis einer inneren Erleuchtung ist.[4] Die Textperspektive fokussiert auf den entscheidenden Augenblick, der das Erscheinen des zur Hilfe herbeigerufenen Engels zeigt und der die Gedichtstruktur in zwei Teile gliedert. Die ersten drei Strophen bilden die größere Einheit, in der die sinnfälligen Bilder der Versuchung und des SichKasteiens sowie das Fiasko des selbstquälerischen Willensaktes dargestellt werden.

Mit der syntagmatischen Opposition „die scharfen Stacheln“ – „das geile Fleisch“ wird gleich im ersten Satz die elementare Kraft des Sexualtriebes und der gewaltsame Versuch, ihn zu bändigen, markiert. Die Reimverknüpfung „geile Fleisch“ – „kreißendem Gekreisch“ weist dagegen schon auf die verhängnisvollen Folgen der körperlichen Sündigung: „Frühgeburten schiefe, hingeschielte / kriechende und fliegende Gesichte“ werden heraufbeschworen als göttliche Strafe – ohne als solche benannt zu werden. Die furchtbaren Zerrbilder von all dem, was der Sexualität nicht nur eine entwaffnende Macht, sondern auch den teleologischen Sinn verleiht, dämonisieren den Geschlechtstrieb, indem sie totalisieren: die Sinne selbst werden fortgepflanzt, „verhundertfacht“. Die Metaphorik in der zweiten Hälfte der dritten Strophe zeigt deutlich die Eigentümlichkeit und Komplexität der Rilkeschen Bildsymbolik:

Aus dem Ganzen ward ein Trank gemacht:

seine Hände griffen lauter Henkel,

und der Schatten schob sich auf wie Schenkel

warm und zu Umarmungen erwacht – .

Am wichtigsten ist die Innovation in der Bildgestaltung. Das traditionelle Zaubertrank-Motiv wird durch die groteske Perspektivierung vollkommen erneuert. Der Liebestrank erscheint hier nicht als ein außergewöhnliches Zaubermittel, sondern als ein Überfluss. Der sonderbare Ausdruck „lauter Henkel“ lässt zumindest folgern, dass der Liebesrausch überall anwesend ist. Der ungewöhnliche Vergleich aus der Panerotik – „der Schatten schob sich auf wie Schenkel“ – bestätigt diese Annahme und zerstört zugleich jede romantische Verschleierung der Liebe durch die rohe Sexualität. Dass der Schatten als ein begehrter Körperteil bezeichnet wird, gibt dieser Liebe weitere unheimliche Konnotationen. Die Vergleichskonjunktion „wie“ rückt die Erotik zugleich in die irreale Schattenwelt. Nur die Triebwünsche und ihre Unerfülltheit sind real. Die tabuisierte Sexualität bleibt als ewig lauernder Spuk Drohung und Qual.

Der zweite Teil (4. und 5. Strophe) stellt in der lyrischen Narration den Wendepunkt dar – nicht wegen der Hinwendung des gequälten Mannes an den Engel, sondern wegen der unerwarteten Reaktion des Letzteren auf die flehende Geste. Die beiden Momente der bis zum Paroxysmus gesteigerten Begierde des Mannes und sein Hilferuf werden – trotz der räumlichen Ferne innerhalb des Textes – durch die Wiederholungsrhetorik miteinander verbunden: „Und schon hatten seine Sinne Enkel“ – heißt es im Anfangsvers der dritten Strophe, während die poetische Parallele in der vierten Strophe den Engel herbeiruft: „Und da schrie er nach dem Engel, schrie“. Eine andere Funktion haben die kopulativen Konjunktionen in den weiteren Zeilen dieser Strophe, die zusammen mit der feinen Distinktion durch die Zufügung „in seinem Schein“ das doppelbödige Spiel des Engels entlarven:

Und der Engel kam in seinem Schein

und war da: und jagte sie

wieder in den Heiligen hinein

Hat in diesem Kontext der zur Hilfe kommende Engel nur eine Schein-Existenz, als wenn er seiner Vermittler-Rolle zwischen Gott und Mensch nicht entsprechen könnte und lieber den Menschen verriete, um Gott als dem Mächtigeren dienen zu können? Das Wort „Schein“ wird zumindest in seiner ganzen Doppeldeutigkeit als Glanz und als Illusion verwendet. Der Engel bringt – zumindest scheinbar – keine Hilfe für den Mann. Denn anstatt ihn von der quälenden Versuchung zu befreien, lässt er ihn weiter leiden. Ist der in diesem übermenschlichen Ringen gefundene Gott die Erlösung selbst? Ist das der richtige Weg des Heiligen? Und überhaupt: ist der Mensch zum Heiligen geboren? Das sind die Fragen, die nicht unmittelbar im Text, sondern durch diesen Text gestellt werden.

2.) Memento mori – in zwei Variationen

In Rilkes Memento-mori-Gedichten drängen das Grauen vor dem Tod und der Abscheu vor der Verwesung den eigentlichen religiösen Warnungscharakter der Gattung in den Hintergrund. Denn nicht die Lehre ist wichtig, sondern die Erfahrung, nicht die moralische Hoffnung, sondern die elementare Bestürzung – das unmittelbare Erlebnis selbst. Diese Gewichtung bestimmt dann auch die Textperspektiven in der Legende von den drei Lebendigen und den drei Toten und im Toten-Tanz. Die „Legende“ verwendet eine narrative Textkonstruktion, in der die Dehnungs- und Raffungstechnik eine sehr wichtige Rolle spielt, weil sie den Horizont der Textwelt vor dem Tod öffnet. In den Proportionen der Gedichtstruktur zeigt sich das darin, dass nur die ersten zwei von den neunzehn Zeilen über den Erfolg und die Freude der drei Reiter berichten, der übrige Teil des Gesamttextes aber die unmittelbare Begegnung mit dem Tode darstellt. Die balladenartige Erzählform lässt im Eingangsteil alle Details außer Acht. So bleibt es z. B. im Dunkel, unter welchen Umständen die drei Herren dem Greise begegnet waren, der sie anstatt des Gelages zu einem „dreifachen Sarkophag“ führte. Ohne jeglichen Übergang wird bereits in der Anfangsstrophe plötzlich auf die grausame Szene fokussiert, in der die Reiter durch den penetranten Leichengestank schockiert sind. Während alle wichtigen Informationen sowohl über die drei Männer als auch über die Toten ausfallen, wird die ekelige Situation in voller Breite geschildert:  

[…] Die Reiter hielten gespreizt

vor dem dreifachen Sarkophag,

 

der ihnen dreimal entgegenstank,

in den Mund, in die Nase, ins Sehn:

und sie wußten es gleich: da lagen lang

drei Tote mitten im Untergang

und ließen sich gräßlich gehn.

In den folgenden beiden Strophen wird der Daseinsraum der noch Lebendigen eingeengt. Zunächst geht es um die Einschränkung des äußeren Zubehörs: „Und sie hatten nur noch ihr Jägergehör“; dann wird ihnen schon die pure Existenz verkürzt: „Nun blieb ihnen noch ihr klares Getast“. Aber auch die Aufnahmefähigkeit dieses Sinnesorgans dient nur dazu, um die Eiseskälte der Todesnähe wahrzunehmen. Aus dieser Perspektive der Textwelt betrachtet, ist es kaum zu bezweifeln, dass die drei Reiter in dieser furchtbaren Situation mit ihrem eigenen Tod konfrontiert werden. Die doppelte magische Zahl ‚drei’ weist auf den grotesken, jedoch notwendigen Zusammenfall „von den drei Lebendigen und den drei Toten“.

Die entgegen gesetzte Horizontgestaltung – stufenweise Einengung des Lebens der Männer und gleichzeitige Raumgewinnung des Todes – lässt keine Hoffnung zu, umso weniger, als der Alte, der sich als böswilliger Psychopompos entpuppt, das biblische Verdikt schonungslos zischt: „Sie gingen nicht durch das Nadelöhr / und gehen niemals – hinein“. Mit diesen Worten, die dem eisigen Zugriff des Todes unmittelbar vorangehen und sich scheinbar nur auf die schon Gestorbenen beziehen, wird – gerade wegen der Schicksalsidentifikation – auch den noch lebenden Menschen die Jenseitshoffnung genommen. Diese grotesk-düstere Vorherbestimmung wird auch durch die Parallel- und Oppositionsstrukturen der Reimtechnik unterstützt. In der ersten Strophe bildet das Reimpaar „gebeizt“ (Jagd als Vitalität) und „gespreizt“ (Bezeichnung der Eitelkeit) eine reimexterne, das Endwort „Gelag“ als Hinweis auf die Lebensfreude aber eine reiminterne Opposition zu den Wörtern „Beschlag“ (Macht des Todesboten) und „Sarkophag“ (Tod). Eine semantische Parallele und Steigerung zum Todesmotiv stellt in der zweiten Strophe die Reimgruppe „entgegenstank“ (Ekel vor dem Tod), „lang“ (dauernde Anwesenheit des Todes) und „Untergang“ (Erweiterung des Todesbereiches) dar. In der dritten und vierten Strophe dominieren die reiminternen Gegensatzpaare: das „Jägergehör“, das den Triumph des Lebens symbolisiert, steht dem „Nadelöhr“ gegenüber, das als biblische Reminiszenz den Engpass bedeutet, durch den die Reichen nicht hindurch kommen und so zur Hölle verdammt sind.[5] In der abschließenden Strophe kontrastiert das einzig gebliebene lebendige Sinnesorgan „Getast“, das noch zum letzten Mal die Herrlichkeit der Jagd in Erinnerung ruft, mit dem Angriff des Todes („gefasst“).

Der Toten-Tanz, der nach der Entstehungsangabe der hier zitierten Werkausgabe nur einen Tag früher als Die Versuchung geschrieben wurde, visioniert schon die grausamen Folgen des sündhaften Lebens. Im Gegensatz zur herkömmlichen Heraufbeschwörung der verdammten Seelen in ihren Skelett-Gestalten fixiert dieser Text die erbarmungsloseste Situation des Höllengangs mit dem ungeheuren, ja animalischen Angstzustand, der den eigentlichen Qualen des Infernos unmittelbar vorangeht. Ein kurzer Vergleich mit Heines Traumbild kann den Unterschied plausibel machen. Trotz des ironischen Kontextes ist die Inszenierung der Totentanz-Darstellung bei Heine traditionell, weil sie ihr wichtigstes Element beibehält: den Bekenntnischarakter, der mit – hier wohl nur scheinbarer – Reue verbunden ist:                 

Narren waren wir im Leben

Und mit toller Wut ergeben

Einer tollen Liebesbrunst.

Kurzweil kann uns heut nicht fehlen,

Jeder soll hier treu erzählen,

Was ihn weiland hergebracht,

Wie gehetzt,

Wie zerfetzt

Ihn die tolle Liebesjagd.[6]

In dem Rilkeschen Totentanz fehlen dagegen alle persönlichen Bezugnahmen: aus einer neutralen, sogar teilnahmslosen Position wird die furchtbare Szene in einer Momentaufnahme dargestellt, ohne jegliche Erklärung, ohne irgendeinen Hinweis auf das frühere sündhafte Leben der angsterfüllten Wesen. Zur elementaren Wirkung des Textes trägt gerade diese situative Direktheit bei, die sogar die Metaphorik der Gattung mit der Wiederholung des grotesken Tanz-Motiv konkretisiert: „Sie fassen den Tänzer fester“, „sie tanzen ja unter Gleichen“, „die tanzen noch immer im Takt“. Gleich in der Anfangszeile wird aber die sinnlich wahrnehmbare Situation auch auf eine höhere, symbolische Ebene transponiert, auf der die Brutalität der Ekel erregenden Bilder durch das Unheimliche und Gespensterhafte „spiritualisiert“ und damit gesteigert wird. „Sie brauchen kein Tanz-Orchester; / sie hören in sich ein Geheule“ – mit diesem Auftakt wird einerseits gleich der spukhafte Anblick der stummen Tanzenden in den Vordergrund gerückt, andererseits die unerträgliche Angst, die ihr Wesen und die ganze Szene erfüllt.[7] 

Diese doppelte Perspektive der Metaphorik bestimmt auch die Struktur des Gedichtes. Die äußere Segmentierung der Drei-Strophen-Konstruktion hebt die dominanten Momente des vorhöllischen Zustands hervor. Im ersten Teil wird der abstoßende Geruch der Urine hervorgehoben – als Folge und Ausdruck der tierischen Angst und der fleischlichen Fäulnis, die auf die Tanzenden wartet: „Ihr Ängsten näßt wie eine Beule, / und der Vorgeruch ihrer Fäule / ist noch ihr bester Geruch.“ Die letztere Bemerkung setzt die noch viel größeren Leiden in Aussicht, deutet damit die Unvorstellbarkeit der Höllenqualen an und formuliert auch explizit die Steigerungs-rhetorik, die die ganze Situation beinhaltet. Die Bilder der zweiten Strophe heben sich deutlich von der schockierenden Darstellung der erbarmungslosen Peinigung in der Vorhalle der Hölle ab. Diese scheinbare Verharmlosung nimmt aber weder das Groteske noch das Gespensterhafte zurück, sondern lässt diese nur in einem anderen semantischen Zusammenhang erscheinen. Während nämlich im ersten Teil auf die Ekelhaftigkeit der Verdammten fokussiert wird, weist der zweite Teil auf die Gnadenlosigkeit ihres Schicksals hin. Parallel dazu wird die kollektive Szenerie durch eine individuelle abgelöst. Aus der Gruppe sticht ein Paar hervor: der Galan und die Ordensschwester. Die Verführungsgesten des Tänzers – er lockert der Schwester das Tuch und „zieht der wachslichtbleichen / leise die Lesezeichen / aus ihrem Stunden-Buch“ – wirken in diesem Milieu vollkommen grotesk-lächerlich, sogar absurd, weil diese beinahe idyllische Episode mit ihrem vorher geschilderten Schreckenszustand überhaupt nicht vereinbar ist.

Dieser surrealistisch anmutenden Vision setzen die schneidenden Worte in der Anfangszeile der dritten Strophe ein Ende: „Bald wird ihnen allen zu heiß, / sie sind zu reich gekleidet“. Der kurze und teilnahmslose Hinweis auf das Höllenfeuer, das auf die Tanzenden wartet, ist mit der biblischen Mahnung verbunden – hier nur andeutungsweise. Denn der zweite Satz – „sie sind zu reich gekleidet“ – ist eine Anspielung auf die Worte Christi: „Eher geht ein Kamel durch das Nadelöhr, als ein Reicher in das Himmelreich.“ (Matth. 19, 24) In der vorher interpretierten Legende von den drei Lebendigen und den drei Toten wird diese Warnung explizit formuliert: „Sie gingen nicht durch das Nadelöhr / und gehen niemals – hinein.“

Der Abschlussteil kehrt mit seinen Schreckensbildern zur furchtbaren Imagination der Eingangsstrophe zurück. Wenn die zur Hölle Verdammten zunächst durch den „Vorgeruch ihrer Fäule“ gepeinigt werden, verursacht ihnen nun „beißender Schweiß“ furchtbare Qualen. Ihr Wunsch, „sie wären nackt / wie ein Kind, ein Verrückter und Eine“, hat doppelte Bedeutung. Einerseits nimmt er konkreten Bezug auf die reiche Bekleidung der Kandidaten, die ihnen in der Hölle nicht nur zu warm ist, sondern auch den Reichtum markiert, der den Weg ins Inferno für sie sichert. Andererseits drückt er die verspätete und reumütige Sehnsucht nach der Unschuld eines Kindes oder eines Verrückten aus. Der Schlusssatz – „die tanzen noch immer im Takt“ – evoziert wohl die Vorstellung vom grausamen Zwang der höllischen Choreographie.

Alle interpretierten Gedichte sind zwar auch als intermediale Reminiszenzen zu deuten, die zyklusartige Anordnung der Texte – mit Ausnahme der älteren Gestaltung von  Das Jüngste Gericht – weist aber auf eine bewusste und umfassende Neubearbeitung des mittelalterlichen Totentanz-Motivs hin, das dabei wesentlich erweitert und in vollkommen unkonventionelle Perspektiven gesetzt wird. Der im Mittelpunkt der Gedichtreihe stehende Toten-Tanz entbehrt genauso jeglicher heilbringenden Lehre, wie in Die Versuchung die Qualen des Versuchten nicht gestillt werden. Es gibt keine Erlösung – weder für die anonymen Scharen der Verstorbenen in den beiden Texten des Jüngsten Gerichtes noch für die Lebendigen, die dem Tode geweiht sind in der Legende von den drei Lebendigen und den drei Toten. Die grotesk-schrecklichen Perspektiven, die unmittelbar auf den unausweichlichen Verfall fokussieren, bieten nicht einmal den lindernden Trost einer humanen Geste der Poesie. Es bleibt nur die schonungslose Konfrontation mit dem Grässlichen und das Aussprechen des Unsagbaren – vor Trakl und vor Benn, aber ähnlich wie in ihrer Poesie: ohne Illusion.


 

[1] Die Rilke-Gedichte werden nach der folgenden Ausgabe zitiert: Rainer Maria Rilke: Werke. Kommentierte Ausgabe in vier Bänden. Hrsg. von Manfred Engel, Ulrich Fülleborn, Horst Nalewski u. August Stahl. Frankfurt am Main und Leipzig: Insel 1996.

 

[2] Nietzsche, Friedrich: Werke in sechs Bänden. Hrsg. von Karl Schlechta. München-Wien: Hanser, 1980,

Bd. 3, S. 463.

[3] Berendt sieht  dagegen in diesen Bildern „trostreiche Erfahrung” und „sanfte Wandlung”. Berendt, Hans: Rainer Maria Rilkes ”Neue Gedichte”. Versuch einer Deutung. Bonn: Bouvier 1957, S. 227.

[4] Eine andere und schwer nachvollziehbare Erklärung deutet der Kommentar an:  „Die Schlusswendung ist ganz Rilkisch: Aus dem Freudianisch verstandenen Unbewussten wäre Gott durch ‚Klärung’ zu gewinnen – ein fernes, utopisches Ziel.“ Rilke: Werke (1996), Bd.1,  S. 969.

 

[5] Vgl. dazu noch: Bradley, Brigitte L.: Rainer Maria Rilkes Der Neuen Gedichte anderer Teil. Entwicklungsstufen seiner Pariser Lyrik. Bern; München: Francke 1976, S. 75f.

[6] Heine, Heinrich: Buch der Lieder. München: Goldmann, o.J., S. 27.

[7] Grundsätzlich  anders deutet Youngnam Lee diesen Text. Ihre Ansicht, dass der Tod bei Rilke „die andere Seite des Lebens“ darstelle, ist wohl zu bestätigen, hier geht es aber um etwas ganz Anderes. Lee, Youngnam: Rainer Maria Rilke. Jenseits der reflektierten Gedanken. Ein Beitrag zur Poetik Rilkes aus interkultureller Perspektive: Taoismus, Zen-Buddhismus. Osnabrück: Der andere Verlag, 2002, S. 120f. 

 

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